Tag Archives: Vater (Friedrich)

Mein Vater. Das Opfer seines Vaters, eines Bauern, der seine männlichen Kinder mißbrauchte. Er war dessen ältester Sohn und ich vermute dessen bevorzugtes “Opfer”.

Nachdem ich genug gesehen hatte

Irgendwann sagt der kleine Junge: “Ich habe genug gesehen.”

Nachdem es endlich alles vorbei war und er endlich in die Welt hinaus konnte, ohne dass einer hinter ihm her war: Ohne dass ihm der Großvater sein Leben stehlen wollte, weil er selbst keines gehabt hatte. Ohne dass ihn die Mutter dem Großvater opfern wollte, um zwanghaft böse zu sein, um die Schuld die sie sich aufgeladen hatte oder die ihr von ihrem Vater aufgeladen worden war, nicht als Schuld sehen zu müssen sondern als Verdienst. Ohne dass ihm der Vater noch einen mitgeben wollte, damit das Werk vollendet wäre und das Kind sich nicht mehr berappeln würde und die Gefahr, dass das eigene Versagen ans Licht kommen würde, für immer gebannt wäre.

Nachdem ich es endlich selbst probieren konnte – ohne die bedrohlichen Schrecken, die von überall her zu kommen schienen. Als ich endlich frei war von dem Gezeter und wenigstens äußerlich Ruhe einkehrte. Endlich selbst probieren, wie es denn wirklich war.

Nachdem ich feststellte, dass es alles noch anders war: All die guten Vorsätze, es alles ganz anders zu machen, halfen nicht. Es war einfach alles zu fremd und die verzweifelten Versuche am Steuer zu reißen, brachten nicht die grundlegende Erneuerung, die dann alles richtig machen würde. Die Vergangenheit war tief vergessen, aber wohl dennoch präsent. Es war mühsam Schritt für Schritt zu lernen und zu begreifen, wie das Leben wirklich war. Dass es nicht so gezwungen und verzweifelt wie die Eltern war, aber dass es die erträumte Rettung aus der eigenen Verzweifelung eben auch nicht gab. Es mußte alles probiert werden: Die Kehrung nach außen zu Freunden und Alkohol, die Resignation in Ziellosigkeit, der berufliche Ehrgeiz und Erfolg, die Zweisamkeit mit Frauen, schnell wechselnde Partner, eigene Kinder und schließlich die Erkenntnis, dass am Ende alles leer war. Das war der Moment als der kleine Junge sagte: “Ich habe genug gesehen,” und er fügte hinzu: “ich will gehen”.

Es folgte das Erschrecken des älteren, der die Niederlage nicht zulassen wollte und nach anderen Auswegen suchte. Aber alles argumentieren half nichts: Die Lust und die Hoffnung auf Neues war verbraucht. Wenn das Kind keinen Sinn mehr in dem bunten Treiben sehen kann, dann will es nach hause und endlich Ruhe haben und nur noch schlafen, für immer.

Dann mußte ich die Reißleine ziehen, aussteigen – wenigstens für einige Wochen. Lernen was andere für einen tun können: Einem den Rücken frei halten für einige Zeit, einem zuhören bis man selbst nicht weiter weiß, Medikamente die helfen Schlaf zu finden und ein wenig Erleichterung von der großen Angst bringen, dass das was ich gesehen hatte, wirklich schon alles gewesen sein könnte. Aber viel wichtiger war es zu lernen, dass die anderen nicht helfen können, die eigenen Erkenntnisse und Schlußfolgerungen zu ziehen. Natürlich gibt es immer die, die einem mit guten Ratschlägen zur Seite stehen wollen – so wie damals mein Großvater. Aber genau wie damals ist das immer nur Eitelkeit, die vorgibt etwas von der Wahrheit zu verstehen. Aber mein Leben hing davon ab, dass ich die richtigen Schritte wählte und ich hatte keine Zeit alles mögliche auszuprobieren. Und ich hatte schon genug gesehen um zu merken, was echt war und keinen der Strohalme ernst zu nehmen. Aber das eigentliche Problem blieb, dass die Hoffnung, dass das Leben doch noch irgendwo die Rettung und die dauerhafte Freude versteckt haben könnte, einfach sehr klein geworden war. Dass dann weiter alles leer blieb und ich nichts mehr finden konnte, mit dem ich die sinnlose Leere hätte füllen können.

Am Ende blieb mir nur ich selbst und ich begann dem Bedürfnis, das ich schon immer hatte, mich nach innen zu wenden, den Namen “Meditation” zu geben, damit es gut und richtig wäre und kein Versagen. Wenn die ganze Angst und Hoffnungslosigkeit durch den verzweifelten Versuch “dazu zu gehören” nicht mehr vertrieben werden konnte, mußte ich wohl alle Zeit, die mir dafür blieb damit zubringen, diese Angst und Hoffnungslosigkeit kennen zu lernen. Das schien mir die einzige Möglichkeit sie soweit zu besänftigen, dass sie mich nicht dann überfielen, wenn die äußeren Umstände sie noch stärker werden liessen und ich ihnen dann erst recht nicht gewachsen wäre. Das ist nun ziehmlich genau 2 Jahre her und bis heute scheint dieser Weg der richtige gewesen zu sein.

Vielleicht ist es so traurig, wie es mir damals schien: Vielleicht ist das Leben einfach nur leer und wir sind dazu geboren, zuzusehen, wie sich gute Momente ereignen, nur um dann auch erleben zu müssen, dass nach einem besonders schönen Moment der Schmerz des Verlustes umso größer ist. Vielleicht ist dieses Gefühl, dass ich schon als Kind hatte, einfach die Wahrheit des Lebens. Eine Wahrheit der ich damals sehr nahe war, aber die zu erkennen ich mir damals nicht zutraute. Zumal meine Eltern doch alle Energie darauf setzten ihr Glück auf ganz andere Weise zu finden. Eine traurige Wahrheit, mit der ich niemanden behelligen wollte, weil doch alle fröhlich sein wollten und möglichst viel Freude und Spaß haben. Eine Wahrheit, die ich deshalb beiseite legte, um vielleicht auch irgendwo da draußen dauerhaft Freude und Spaß finden zu können. Aber vielleicht wird aus dem Versuch dauerhaft Freude und Spaß zu haben, schnell eine sinnlose Anhäufung von Spaßfaktoren und ist dann ohne deren empfundenen Verlust sinnlos. Vielleicht kommen darum Taurigkeit, Schmerz, Verlust und Mangel – als notwendige Kehrseiten der Freude – der Wahrheit näher als Spaßmaximierung. Vielleicht ist es gut und richtig diese Kehrseiten des Lebens zu suchen und in aller Fülle zu erleben, weil diese auf dem Weg liegen, der zur Wahrheit führt. Vielleicht war das aus der Taurigkeit und dem Schmerz des abgewiesenen Kindes geborene Gefühl, mehr als die meisten anderen zu wissen, gar nicht so falsch wie es mir damals schien. Und vielleicht besteht am Ende sogar das Glück aus diesem Weg zu dieser Wahrheit und kann dort doch noch gefunden werden, wenn das Kreiseln zwischen Spaß und Langeweile, Gewinn und Verlust, Reichtum und Mangel, Gesundheit und Schmerz, Freude und Traurigkeit, Stärke und Schwäche endlich einen Level höher steigt.

Von den Eltern lernen

So befremdlich sich das vielleicht anhört: Ich glaube die Schizophrenie meiner Mutter und die Selbstmorde meiner Eltern, sind mir bis heute eine Hilfe. Es gibt Momente, in denen die Angst so fürchterlich zu mir zurück kommt und ich nicht weiß, ob ich das weiter aushalten kann. Dann kann ich mir aber an dem Beispiel meiner Eltern klar machen, dass es nicht der richtige Weg ist, immer nur dorthin zu laufen, wo der geringste Widerstand ist und sich nicht dem zu stellen, was einem so viel Angst macht. Seien es Erinnerungen oder der eigene Vater oder was auch immer. Dass es für mich keinen anderen Weg gibt zum Leben, als da durch zu gehen. Und wenn ich daran zerbreche, dann ist es trotzdem meine einzige Chance. Dass es notwendig ist, sich dem ganzen Schlamassel noch einmal zu stellen – auch wenn sie einem als Kind mit aller Gewalt genau das abgewöhnen wollten.

Die Maske

Während der ganzen Vorbereitungen zu meinem Verkauf, gab es eine entsetzliche Situation, bei der ich eine Atemmaske aufsetzen sollte. Die Maske hatte einer bestellt, der mich dann kaufen wollte, und meine Mutter hatte eingewilligt sie anfertigen zu lassen. Ich hatte keine Ahnung und sie war dann immer sehr nett zu mir und so ging ich immer brav mit. Bei der Abholung bei dem Verkäufer der Maske wollte sie sie aber auch ausprobieren. Dann sollte sie sie bei der Übergabe mitbringen.

Ich sollte mich dann auf einen Stuhl setzen und meine Mutter war ganz ungewöhnlich liebevoll und vorsichtig und ich ließ alles geschehen. Ich wurde festgeschnallt am ganzen Körper und dann fragte mich der Mann, ob ich eingepudert werden wolle, wenn man mir die Maske aufsetzen würde. Ich wollte tapfer sein und verneinte. Er meinte noch, dass das aber angenehmer wäre aber ich schüttelte den Kopf und er zuckte mit den Schultern.

Das Erlebnis mit dieser Maske war entsetzlich, es waren zwei Schläuche daran, die zu meiner Nase führten und über die ich Luft holen konnte – wenn man nicht seitlich, wo ich nicht hinsehen konnte, die Luftzufuhr abschitt, indem man die Schläuche zusammen drückte. Ich kann mich noch heute an das Gefühl erinnern, das in dem einen Moment als zum ersten Mal die Luft weg blieb in einem entsteht: Innerhalb eines Sekundenbruchteils wird einem alles klar. Alle Fasern des Körpers sind völlig angespannt das Gehirn fängt an zu hämmern und man wartet auf die Luft. Wenn diese kommt, versucht man gleichzeitig ein- und wieder auszuatmen so schnell wie möglich und verschluckt sich und muß husten und nichts geht mehr. Meine Mutter hat das nur zweimal gemacht und ich konnte nicht sprechen, da ich geknebelt war und ich hoffte inständig, dass meine Mutter das Entsetzen und die Angst in meinen Augen sehen könnte. Aber ich konnte meine Mutter nicht sehen.

Der Mann sagte dann relativ leise, sie solle aufhören, das wäre für mich ganz schrecklich. Sie hörte dann auf und ich fing an ganz schnell und hektisch zu atmen. Und der Mann fing an zu schimpfen mit meiner Mutter, dass das jetzt lebensgefährlich wäre und wenn ich hyperventiliere könnten sie mir die Maske nicht abnehmen. Dass er da nicht hätte einwilligen sollen und dass es die Schuld meiner Mutter wäre, wenn das jetzt alles auffliegen würde.

Meine Mutter wurde dann wieder ganz fürsorglich und redete ganz ruhig auf mich ein und beruhigte mich und dann fing ich langsam wieder an ruhig zu atmen. Dann haben Sie mir die Maske abgenommen und mich losgemacht und wir gingen hinaus. Draußen kaufte mir meine Mutter etwas zu Trinken, wieder ganz fürsorglich, irgend etwas Süßes was wir Kinder gerne mochten und was ich sonst nie von ihr bekam. Sie fragte dann interessiert und lächelnd aber nicht besorgt: “Haßt Du micht jetzt?” Ich wußte nicht was ich sagen sollte, da ich doch so sehr in ihrer Macht war.

Zu hause habe ich meinen Schwestern davon erzählt, weil ich einfach an nichts anderes mehr denken konnte. Als dann mein Vater nach hause kam, erzählte ihm meine Schwester wohl gleich davon und dann kam mein Vater zu mir gerannt und schrie, dass ich mir da wieder etwas ausgedacht hätte und schlug auf mich ein. Es war so, so schrecklich. Von da an wurde es zu hause immer schlimmer, mein Vater nutzte jede Gelegenheit mich auszuschimpfen und lächerlich zu machen vor anderen und meine Mutter verfolgte eisern ihren Plan. Ich wurde immer einsamer und verlorener. Ich durfe auch nicht allzu viel Kontakt zu anderen haben und wenn wurde genau darauf geachtet, dass ich niemandem etwas erzählen könnte. Dabei hätte ich mich wahrscheinlich sowieso nicht getraut und wenn doch hätte mir niemand geglaubt.

Ich wußte dann nicht mehr, ob ich mir nicht wünschen sollte, weg zu kommen und hatte die leise Hoffnung, dass es dann vielleicht sogar besser werden könnte.

Kann nicht einfach einer die Angst von allen tragen?

Ich habe als Kind erlebt, wie alle auf einmal aufgehört haben, sich für mein Wohlbefinden oder überhaupt für mein Befinden zu interessieren und mich innerlich verstehen zu wollen. Auf einmal – für mich unbegreiflich – hat meine ganze Familie angefangen, alles was ich tat in Schubladen zu packen ohne es überhaupt richtig anzusehen. Die Schubladen hießen: “Der Junge ist nun einmal schwach” und “Der Junge versucht uns auch schwach zu machen, mit seiner Wehleidigkeit” und “Der Junge hat noch nicht erkannt, dass er schwach ist und tut so, als ob er stark wäre und dann kann er sich auch nicht bessern”. Alles war entweder schwach oder schwach. Ich bin dann auch gegenüber mir selbst abgestumpft und zu einer Art Maschine geworden, die je nach Stimmung die Schubladen gehorsam vollmacht und das Interesse der anderen an meiner “Kategorisierung” in Schubladen befördert und entsprechend der Erwartungen agiert (dann ist endlich ein wenig Ruhe) oder stört und bockig ist und die Einsortierung etwas schwieriger macht. Aber hinbekommen haben sie das immer und es war mir einfach nicht möglich, ihr Weltbild und vor allem ihr Bild von mir irgendwie anzukratzen. Daher war alles sehr beliebig und sehr dunkel und teilnahmslos und eigentlich egal. Ich denke, dass ich damals meine heutige, abfällige und unbeteiligte Sicht auf die Welt entwickelt habe.

Und die Großen gingen auch selbst mit sich so um: Genauso teilnahmslos und sich selbst diesem System untewerfend. Alle: Großpapa, Mama und Papa. Ihre Gefühle zu mir wie Wut (Schimpfen) oder Liebe (Lob) waren dem System untergeordnet und wurden  eher nach ihren Interessen eingesetzt und benutzt, als dass sie Ausdruck echter Gefühle waren. Ist der Vater wirklich wütend auf den kleinen Jungen, weil der ehrliche und deutlich sichtbare Angst davor hat, zu seinem Großvater zu müssen? Ist ein Großvater wirklich wütend auf die Angst des kleinen Jungen, der in berechtigter Todesanst vor ihm steht und nicht aus noch ein weiß? Ist der Großvater wirklich liebevoll zu seiner Tochter, weil sie falsch und gemein zu allen anderen ist? Für mich sind das alles mißbrauchte Gefühle. Weil sie wie echte Gefühle verwendet werden: mit Schreien, Weinen und allem was zu Gefühlen gehört und bei dem Gegenüber auch die gleichen Reaktionen wie Angst oder Mitleid hervorrufen, aber sie sind nicht wahr sondern herzlos übergestülpte Masken.

In dieses System gehörte dann, dass meine Eltern ihre Angst vor Großpapa “Achtung”, “Respekt” oder gar “Demut” nannten und meine Angst vor ihm “Bockigkeit”, “Egoismus” und vor allem “Schwäche”. Ich habe wirklich alles versucht, irgendwie in dieses System zu passen und hätte alles darum gegeben, meine Angst genauso wie sie nennen zu dürfen. Ich hätte auf mich genommen alles zu sein was sie wollten: schwach oder stark, gehorsam oder ungehorsam. Ganz die Schublade in die sie mich stecken wollen, wenn das nur aufgehört hätte mit dieser ständigen Kritik an mir und dass ich nun aber wirklich alles falsch machen würde. Ich wollte meinen Eltern ja auch helfen und habe versucht meine Angst zu besiegen. Und nach außen hat das auch funktioniert, so dass man mein innerliches Zittern, Schreien und Weinen und die ganze unendliche Verzweifelung nicht sehen konnte. Aber was ich nie so richtig hinbekommen habe, war die Angst innen in mir drin nicht mehr zu haben, und ich fragte mich, ob das sein kann, dass man so lange an etwas arbeiten muß ohne das Gefühl, dass es richtig ist, bis man irgendwann durch ist und es dann tatsächlich richtig ist. Wie hätte ich das wissen können als vierjähriger, wenn ich es heute noch nicht einmal weiß?

Wenn ich dann bei Großpapa war, dann wollte er auf einmal gerade, dass ich die Angst hatte und vor allem, dass ich mich auch wehrte. Das war dann das völlig Unverständliche: Dass ich mich zu hause nicht wehren durfte und still halten mußte – da wo ich noch eine Chance gehabt hätte, etwas zu ändern. Dass ich dort noch nicht einmal sagen durfte, dass ich nicht zu Großpapa wollte. Aber wenn ich dann bei ihm war, mußte und sollte ich meine Angst heraus holen und versuchen wegzulaufen und mich dafür demütigen lassen oder auf irgendeine Art Widerstand zeigen, damit dieser gebrochen werden konnte. Sonst hätte es wohl keinen Spaß gemacht und die Machtdemonstration hätte nicht funktioniert. Und wenn ich das mit meinen Eltern besprechen wollte, hatten sie keine Zeit. Es war ein riesiges System aus Lügen und Verstellungen. Ein Teil von mir (und vielleicht auch von den anderen?) hat das immer gewusst, aber es war zu schrecklich um es zu glauben und also tat ich das als “zu unwahrscheinlich” ab.

Dabei war das ganze Lügengebäude am Ende nur ein einziges, wahres Gefühl: Angst. Angst die keiner haben wollte und daher dem Kind auf die Schultern packte. Eine für mich unverständliche Angst der Großen vor dem Alten, der ihnen doch gar nichts tun konnte. Eine für mich unverständliche Angst des Alten vor den eigenen Gefühlen und davor zurück gewiesen zu werden. Und die Angst des Alten und der Eltern vor Entdeckung, die ich auch nicht verstand, weil ich das ja alles für richtig hielt und auch niemals gewagt hättee, irgendjemand davon zu erzählen. Ich verstand nicht, dass sie das nicht sahen und trotzdem Angst hatten, und manchmal versuchte ich sie zu beruhigen, weil ich ihnen helfen wollte und hoffte, dass es dann besser würde. Zu dieser ganzen unverständlichen Angst der Großen, die sie zu meiner Angst machten, kam dann noch meine eigene Angst vor meiner Zukunft: Ich konnte mir nicht gut vorstellen, dass man sich so lange gegen die eigenen Gefühle richten mußte, um das richtige zu tun. Und ich merkte, dass ich mich immer mehr veränderte und nur ein Teil von mir konnte mich selbst davon überzeugen, dass das der richtige Weg war. Wie gerne hätte ich mich selbst restlos davon überzeugen wollen, aber es blieb immer die Angst davor, dass das alles falsch sein könnte.

Es gab niemanden, der diese Angst wenigstens mit mir geteilt hätte. Wenn ich versuchte bei meinen Eltern Hilfe oder Rat zu finden und ihnen von diesen Änderungen an mir und meinen Zweifeln berichten wollte, um mich wenigstens beruhigen zu lassen, wurde ich an meinen Großvater verwiesen. Bei dem bekam ich dann schon die Bestätigung, dass das alles richtig wäre – aber ich wußte auch, dass er die Quelle all dieser Veränderungen war und ich konnte ihm nicht wirklich glauben. Ich habe mich selbst wirklich nicht dafür gemocht, dass ich immer alles so kompliziert mache und nicht einfach Vertrauen haben kann, aber es war nun einmal so und ich mußte damit leben.

Irgendwie ist es bis heute diese Angst vor meiner eigenen Zukunft, die mich nicht zur Ruhe kommen läßt. Dabei habe ich die Mitte meines Lebens vermutlich längst überschritten. Aber die Angst hört nie auf und ich konnte bis heute niemanden finden, an den ich diese Angst abgeben könnte. Vielleicht muß diese Angst sogar immer größer werden, je näher ich an mein Ende komme und an meinem Leben nichts mehr zu ändern ist. Vielleicht ist es das, was ich und jeder von uns selbst schaffen muß, egal wie groß der Schrecken ist, den das Leben einem auf den Kopf werfen kann, in der Vergangenheit oder in der Zukunft: Das Leben verlangt auch noch von einem, dass man das aushält, den Kopf nicht einzieht und die Angst aushält, weil es die Angst davor ist, an dem eigenen Leben zu scheitern. Dass man diese Angst annimmt und nicht verzweifelt nach einem anderen sucht, dem man die Schuld an allem und dann auch gleich noch die Angst geben könnte. Dass man die Angst davor, endgültig zu scheitern und doch noch an dem ganzen Schrecken vollständig kaputt zu gehen, aushält und ansieht und begreift. Und dann am Ende hinter der ganzen Angst und Traurigkeit in Dankbarkeit sieht, was der eigene Sinn und die eigene Bestimmung ist.

Ich denke, dass alle Religionen dazu sagen, dass es dafür in diesem Leben erst zu spät ist, wenn man tot ist.

(PS: Eigentlich machen das viele Eltern, dass sie ihren Kindern Liebe oder Wut “vorspielen”, um den Kindern “eine Lehre zu erteilen” – meistens sehr gut gemeint, um ihre eigene Weltsicht zu transportieren. Aber ich kann mich erinnern, dass ich so etwas als Kind ganz genau merkte und befremdlich fand und mir die Erwachsenen eher Leid taten. Die Kinder spielen dann meistens mit – aber nur um dem Erwachsenen zu helfen oder ihm einen Gefallen zu tun. Das Kind hat eigentlich überhaupt kein Interesse an “vorgekauten” Lebensweisheiten und will nicht “trainiert” werden. Es ist nur an der Wahrheit interessiert, die es in den wahren Gefühlen der Eltern finden kann. Aber das ist nicht mein Thema.)

Auf meiner Seite

Irgenwie war das auch eine der Phantasien, die mir da durch geholfen hat: Dass mein Onkel Eberhard, den ich nie gesehen hatte und von dem ich nur ein einziges Bild kannte, auf meiner Seite wäre. Dass er das ganze sieht, was er selbst auch schon durchgemacht hat und mich ansieht und weiß, dass das alles gelogen ist. Dass sie das alles erfinden, weil sie ein Opfer brauchen, um sich selbst stark zu fühlen. Dass ich nicht so schwach bin, wie alle sagen und so überflüssig und eigentlich auch keine Last. Jedenfalls nicht, wenn man keine Last aus mir macht. Dass ich wenn ich endlich sterben würde, als erstes ihm begegnen würde, weil er auf mich gewartet hat und sagt: “Du brauchst nichts zu sagen und Du mußt Dich nicht mehr verteidigen oder beschützen. Ich weiß alles und alles ist vorbei. Hier ist es schön, komm mit.” Dann würde ich endlich weinen können, ohne dass sie das gleich verändern wollen. Weinen können, ohne dass meine Mama gleich kommt und sagt: “Es ist gut dass Du weinst und jetzt wollen wir daraus mal Stärke machen.” (Irgendwie waren sie alle so dressiert, dass Traurigkeit Schwäche ist und man dann besser wegläuft, bevor Großpapa einen dabei ertappt, dass der eine traurig ist und der andere nicht rein schlägt.)

Natürlich habe ich mich auch geschämt, weil ich mir solche Sachen vorgestellt habe, die ja gar nicht stimmen. Aber es war trotzdem schön, mir das vorzustellen und es war ein kleines bischen Zuflucht, weil eben sonst keiner auf meiner Seite war. Ich habe diese Phantasien aber ganz und gar als meinen Fehler gesehen und als Zeichen meiner Schwäche. Und dann dachte ich, dass vielleicht ja auch mein Onkel da oben steht und mich auslacht und amüsiert den Kopf schüttelt, so wie mein Vater, weil ich so schwach bin und noch nicht einmal alleine damit klar komme. Aber das konnte ich nicht glauben und wenn, dann war es mir auch fast egal, weil ich ihn dann nicht brauche konnte. Und dann habe ich eben an jemand anders geglaubt, denn irgenwie war es gut, sich nicht so alleine zu fühlen und irgenwie konnte ich das nicht anders aushalten – egal ob ich nun schwach war oder nicht.

Nur nachher, als ich sie mich aussortiert hatten und ich weg sollte von zu hause, hat mich leider auch Eberhard verlassen, weil damit auch er keine Erfahrung hatte. Da war ich dann ganz alleine mit meiner Traurigkeit und Panik.

Aber heute versuche ich, dieser Eberhard zu sein für das traurige Kind in mir, dass das alles noch immer nicht verstehen kann. Das sich immer noch so schwach und einsam fühlt in dieser großen Welt der Großen, die so kalt ist und so fremd. Ihm zu leuchten und das zu sagen, was er mir damals in meiner Phantasie gesagt hat: “Du brauchst nichts zu sagen und Du mußt Dich nicht mehr verteidigen oder beschützen. Ich weiß alles und alles ist vorbei. Hier ist es schön, komm mit.”

Mamas Traurigkeit

Mama war so traurig innen drin. Ihre eigene Mutter war gestorben als sie 14 war und sie erzählte uns, dass sie ihre eigene Mutter an die Nazis verraten hatte, weil die Mutter gegen den Krieg war und alles. Ihre Mutter war dann zum Verhör geholt worden und kam dann aber wieder nach hause und war wohl ziehmlich verstört aber verzieh meiner Mutter. Aber dann starb sie nach einiger Zeit und meine Mutter war der Meinung, dass sie sich nie von dem Verhör und dem Kummer erholt hatte, den meine Mutter ihr angetan hatte.

Ich glaube, dass mein Großvater ihr das eingeredet hat und ihr sagte, dass das ein Zeichen von Stärke wäre, wenn sie das aushalten und die Schuld auf sich nehmen würde und damit leben könne und das gut finden könnte. Ich glaube auch, dass mein Großvater selbst seine Frau los werden wollte, weil sie seine Naziphantasien nicht teilte und sie ihn erstens an seiner eigenen “Starkwerdung” hindern würde und weil sie zweitens ihre schützende Hand über seinen Sohn, Eberhard, hielt und er seine “Stärke-Erziehung” an seinem Sohn so extrem wie möglich durchziehen wollte.

Unsere Mutter erzählte uns auch, dass Ihr älterer Bruder, Eberhard, den Großvater zu einem Starken machen wollte mit der ganzen Brutalität und Grausamkeit die er dafür so gerne anwandte unter der schützenden Hand seiner Mutter gestanden hätte, die nach deren Tod ja wegfiel und Großpapa dann freie Hand hatte. Auch daran gab sich meine Mutter die Schuld. Und wohl auch nicht ganz zu unrecht, denn sie erzählte auch, dass Großpapa oft sehr brutal zu Eberhard gewesen wäre, dass er ihn zum Beispiel auch über nacht in einem Erdloch eingesperrt hätte. Sie erzählte aber auch, dass es dann auch wieder lustig gewesen wäre, mit anzusehen, wie sich Eberhard gewunden hätte, wenn Großvater ihn quälte.

Meine leibliche Großmutter starb jedenfalls an etwas, Thrombose wurde diagnostiziert und allgemein wurde von schlechter ärtzlicher Versorgung im Krieg gesprochen und auch Großpapa, der ja Tierarzt war, war an der ärztlichen Betreuung seiner Frau beteiligt. Was wirklich geschehen war, werde ich nie wissen aber ich zweifele an vielem was mir in diesem Zusammenhang erzählt wurde.

Meine Mutter erzählte jedenfalls auch, dass ihre Stiefmutter, meine Großmutter, in die Familie als Haushälterin kam als ihre Mutter noch lebte und dass diese sich immer als Verbündete der Kinder ausgegeben hatte, auch gegen deren eigene Mutter und Vater. Dass diese aber doch erst dem Großvater “diese Ideen” vorgestellt hatte und sich mit ihm verbündet hätte. Und als ihre Mutter das mitbekommen hätte, wäre es längst zu spät gewesen.

Als ihre Mutter starb gab es laut meiner Mutter auch noch ein kleines Baby und meine Mutter war traurig und die Feinde (die Russen im Krieg) kamen näher und keiner wußte, was nun aus dem Baby werden solle. Meine Mutter, die sich ja die Schuld an allem gab, nahm sich dann der Sache an und erstickte das Kinde mit einem Kissen.

Wenn uns unsere Mutter diese Dinge erzählte, wurde sie immer trauriger und am Ende ging dann ein Ruck durch sie und sie drückte sich durch und wollte zu ihrer Stärke zurück finden. Wenn wir sie danach in irgendeiner Form daran erinnerten wurde sie sehr wütend und sehr brutal.

Ich war immer so traurig und wütend auf meinen Vater, der meiner Mutter doch hätte helfen müssen aber sich lieber in seine eigene Schwäche zurück zog und eine starke Frau haben wollte. Und da haben sich die beiden in ihrer Verzweiflung wohl gefunden: Meine Mutter, die ihre Traurigkeit durch eingebildete Stärke bekämpfen wollte und mein Vater, der sich klein und schwach fühlen wollte, damit ihn jemand beschützt und der Angst davor hatte, seine Wut gegen jemanden zu richten, den er vielleicht noch als Schutz brauchte.

Vater ist Sehnsucht

Ich hatte einmal einen Vater, in den ersten Jahren meines Lebens, der sich freute, wenn er mich sah, der mich glücklich machte, wenn er da war am Feierabend und der einen so interessanten Geruch hatte.

Diese Phase hörte nach ungefähr drei bis vier Jahren auf. Ich weiß schon sehr lange, dass mein Vater meiner Mutter sexuell hörig war. Ich weiß auch, dass mein Vater regelmässig zu einer Domina ging. Beides haben meine Eltern mir selbst vorgeführt.

Als meine Mutter wollte, dass mein Vater sich zwischen ihr, die mich zu ihrem Vater schicken wollte, und mir entscheidet, war die Sache für meinen Vater recht schnell klar. Ich wurde dann auch zu seinem Opfer. Ein einziges Mal, als wir zu zweit waren, deutete er an, dass er selbst keinen anderen Ausweg sehen würde und dass ich das doch verstehen müsse. Die einzige Lösung, die es geben würde, wäre, wenn mein Großvater weg wäre.  Er meinte auch, dass Kinder da keine Strafe befürchten müssten und dass ihm das leider erst zu spät klar geworden wäre. Wie er das meinte, habe ich nur halb verstanden und ich wollte vielleicht auch nicht alles verstehen. Ich  erfuhr dann später am eigenen Leib, wie er das wohl meinte: Er war der älteste Sohn eines Bauern und wurde selbst als Kind von seinem Vater mißbraucht. Ich kann das nur vermuten aber ich denke, da er der älteste war, war er auch das bevorzugte Opfer. Mein Vater hatte noch sechs Geschwister und die ganze Familie war eigentlich angenehm und entspannt, daher denke ich, dass es meinen Vater besonders schlimm traf. Auffällig ist auch, dass mein Vater als Erstbeborener, dennoch nicht – wie üblich – den nicht kleinen Bauernhof übernahm, den an seiner Stelle sein jüngerer Bruder fortführte.

Kaffetrinken mit Goldrand

Eines Tages sagte mein Großvater zu meiner Mutter: “Der Dietrich ist ja schon ganz gut, aber dass er so zutraulich mit anderen Leuten umgeht ist noch nicht gut, aber ich habe da schon eine Idee, wie ich das machen kann.” Dabei lächelte er sein gütiges, überlegenes Lächeln.

Ich glaube, dass dieser Plan dann so aufging:

Es gab eine Familienfeier und meine Mutter sagte noch, dass es nichts machen würde, wenn wir mal bei einem Spiel den Ton angeben würden. Auf Nachfrage erklärte sie, wie das gemeint war. Als es dann soweit war, zogen sich die Erwachsenen irgenwann zurück. Es waren nur die leiblichen Kinder und die angeheirate Frau des toten Eberhard anwesend. Dann kamen sie irgendwann herunter und sagten: “So, nun spielt mal was” und wollten uns zusehen. Keiner tat was aber ich erinnerte mich, was die Mutter gesagt hatte und machte ein paar Vorschläge.

Das reichte dann schon und wir gingen hinein in die gute Stube. Dann drückte der Großvater erst dem Cousin auf die Schulter, aber der blieb gerade. Dann war ich dran. Als der Großvater mich dann auch herunter drückte, versuchte ich auch dagegen zu halten. Wenigstens so lange bis mir einer zur Hilfe kommen würde. Eine Tante rief dann: “Elisabeth, das darfst Du nicht zulassen.” Aber keiner sagte dann noch etwas und keiner kam mir zur Hilfe. Ich wollte aushalten und stark sein – aber dann rief meine Mutter etwas streng und ermahnend: “Dietrich!” und dann knickte ich ein. Und immer noch schritt keiner ein.

Ich schämte mich wahnsinnig und wollte niemanden ansehen. Tante Hildegard rief dann noch, dass das richtig wäre, weil meine Mutter ja irgendetwas mit dem Tod von Eberhard zu tun gehabt hätte und dass ich nun dem Cousin unterstellt würde, wäre daher nur gerecht. Ich war puterrot und wollte einfach nur weg sein. Der Cousin ist der Sohn von Eberhard, dem älteren Bruder meiner Mutter, der bei einem Verkehrsunfall (?) starb, bevor wir ihn kennenlernten. Der Cousin sollte mir dann etwas befehlen und ihm fiel nichts ein und er sagte etwas verlegen was und ich tat es. Ich ergab mich völlig und mir war alles egal und es sollte nur aufhören. Aber es hörte noch nicht auf.

Dann sollten wir zum Kaffeetisch schreiten und Großmutter sollte für mich das einfache Geschirr aus der Küche holen, denn das wäre meinem Stand gerechter. Das war nur für die anderen:

Ich aß dann ohne Appetit ein Stück Kuchen, das für mich ausgesucht wurde.

Als dann mein Vater dachten wohl alle, jetzt würde mir jemand helfen. Aber die ganze traurige Geschchte geht so, dass er als erstes fragte, ob ich schon wieder etwas angestellt hätte. Erst sagte keiner etwas und dann irgendjemand, dass das nicht so wäre. Dann setzte er sich dazu und aß seinen Kuchen und trank seinen leckeren Kaffee.

Es war schrecklich, schrecklich, schrecklich.

Dann fragte eine Tante, wohl um meinen Großvater zu besänftigen: “Erzähl uns doch noch einmal die Geschiche, was Du mit dem anderen gemacht hast.” Und dann erzählte er, dass es noch einen anderen gegeben hätte, im 3. Reich, der genauso hieß wie er. Dem hätte er gesagt, dass er sich nur die Haare wachsen lassen solle, dann würden sie kommen und ihn retten. Komische Geschichte und ich weiß bis heute nicht, was ich davon halten soll. Aber so war es.

Als ich meiner Mutter hinterher vorhielt, warum sie mir in den Rücken gefallen wäre, sagte sie: “Was wolltest Du denn tun? Willst Du denn wie Eberhard enden?” Darum denke ich, dass die Sippschaft das alles nicht zum ersten Mal erlebt hat.

Das gibt es also immer noch

Als ich den Mißbrauch mit Großvater überstanden hatte, gab es viele Jahre lang Ruhe. Ich kam in die Schule und wir zogen um in eine andere Stadt. Außer dass ich merkte, dass ich irgendwie ganz anders war als die anderen und viel, viel ernster, trauriger und ängstlicher und dass es dadurch oft schwierig war, mit den anderen klar zu kommen, geschah nicht viel. Sogar mein Vater war manchmal für mich da und das war eigentlich das Schönste – auch wenn ich wußte, dass meine Mutter ihn dazu aufgefordert hatte. Meine Mutter mochte ich tief in mir drinnen nicht, aber ich schämte mich dafür und meine Mutter versuchte jetzt wirklich ganz besonders für mich zu sorgen.

Dann sollte ich einmal auf den Bauernhof fahren und dort einige Nächte bleiben, auf dem mein Vater groß geworden war. Er meinte noch zu mir, dass es sein könne, dass mein Opa etwas von mir wolle und dann solle ich ihm helfen. Mein Opa wollte dann tatsächlich etwas von mir, sagte dann zu mir ich solle mitkommen, tötte vor meinen Augen ein Huhn und ließ mich dann in seinem “Vorzimmer” warten. Die anderen Großen waren an dem Tag nicht zu hause. Dann rief er mich rein. Er sagte, dass mein Vater ja wohl bauen wolle und dafür ein Grundstück von ihm bräuchte und das würde er ihm wohl auch geben wollen, wenn ich ihm auch helfen würde. Dann zog er mir irgendein Kleidungsstück über, das er wohl toll fand und sagte ich wolle doch bestimmt Pilot werden und ich  sollte mir jetzt vorstellen, wie ich vorne im Flugzeug wäre. Dann steckte er mir “etwas” von hinten in den Popo, es tat weh und irgendwie war es eklig und unangenehm. Das Gefühl, etwas gutes zu tun, wollte sich einfach nicht einstellen. Dann schickte er mich ziehmlich herablassend und geringschätzend weg.

Ich lief in den Wald, wollte einsam sein und alleine und hatte das Gefühl, dass ich einfach nicht für diese Welt geschaffen wäre. Es war nur ein dunkles Gefühl da, dass ich das alles schon einmal erlebt hatte und eine schreckliche Angst, dass irgendetwas heraus kommen könnte, irgendeine Schuld, die schwer auf mir lastete. Es war ein ganz und gar unglückliches und sehr dumpfes Gefühl und der Wunsch nie wieder irgendjemanden sehen zu wollen. Aber irgendwann ging ich dann doch zurück und wartete, was passieren würde und ob ich wieder etwas falsch gemacht hätte. Ich nahm mir vor, auf keinen Fall zu weinen oder Schwäche zu zeigen, weil ich das Gefühl hatte, dass sie das dann sofort ausnutzen würden.

Am Abend sagte mein Onkel zu mir, dass ich ja wohl bei Opa gewesen wäre und fragte, ob mein Vater mir nichts gesagt hätte. Ich sagte, dass mein Vater gesagt hätte, dass ich meinem Opa helfen solle und mein Onkel sagte, dass ich mich da verhört haben müsse. Ich sagte nur “Nein” und versuchte nicht zu weinen und war froh als mein Onkel nichts mehr dazu sagte.

Als meine Eltern mich abholten, sagte ich, dass ich bei Opa gewesen wäre und meine Mutter sah mich entsetzt an. Sie sagte zu meinem Vater, dass sie gedacht hätte, dass mein Opa zu alt wäre dafür und mein Vater sagte: “Der hört nie auf damit”. Da sagte sie zu ihm: “Hast Du das etwa gewußt? Ich habe Dir doch erzählt was ich mit dem Jungen gemacht habe.” Mein Vater: “Soll denn immer der Sohn meines Bruders alles abkriegen?” Meine Mutter stieg dann mit mir aus dem Auto aus und sagte zu mir, dass ich nicht wieder einsteigen müsse und sie würde bei mir bleiben. Wir gingen zu Fuß weiter und mein Vater fuhr mit dem Auto neben uns her. Ich bin dann wieder eingestiegen. War ja sowieso alles Quatsch, was meine Mutter da sagte.

Mein Vater wollte es dann später zu hause noch etwas ausführlicher hören und als ich ihm von dem Kleidungsstück erzählte, sah er in sich hinein und sagte: “Das gibt es also immer noch.”

Das Ende meiner Eltern

Meine Mutter wurde dann schizophren als ich 14 war. Mit inneren Stimmen, wahnsinnigen Anfällen, Verfolgungswahn. Das volle Programm. Einmal ging sie mit dem Küchenmesser auf mich los. Ein anderes Mal, als ich sie immer wieder ansprach und sie nicht reagierte, starrte sie mich plötzlich an und sagte: “Eberhard?!” (Ihr Bruder, mein Onkel, den ich nicht kennen lernte und von dem ich denke, dass er die gleiche Rolle für meinen Großvater spielte wie ich.)

Meine Mutter erhängte sich dann später selbst, lange nachdem ich zu hause ausgezogen war.

Mein Vater hatte dann einige Liebschaften und wurde dann über die Jahre immer panischer und wollte um sich daraus zu befreien unbedingt wieder jemanden heiraten. Er konnte nur noch schwer einschlafen und nahm daher Medikamente. Uns Kindern hat er nicht viel davon erzählt. Er war dann ein paar Tage bei seinem Bruder, meinen Onkel und meinte irgendwann, dass es ihm jetzt wieder besser gehe. Er fuhr dann wieder nach hause, ging abends noch auf einen geselligen Abend (Club) und erhängte sich dann später an der gleichen Stelle (im Schuppen) an der es auch meine Mutter getan hatte.