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Der ältere Bruder meiner Mutter. Er starb bevor ich ihnen kennen lernen konnte. Er war der Vater zweier Kinder (Cousin und Cousine).

Weißt Du wie das ward?

Wenn die Generation meines Großvaters am Übergang von der kleinen Gesellschaft, die in kleinen untereinander nur schwach vernetzten Gemeinschaften existierte, zu der großen Gesellschaft lebte, bei der Massenkommunikationsmittel und Reisemöglichkeiten zu einem schnellen und unaufhaltsamen Kommunikationsfluss führte. Wenn das so war, war das Verhältnis des Einzelnen zu dieser neuen Gesellschaft mit Angst verbunden: Der Einzelne der dann in Konflikt mit der Geseschaft geriet, weil sie etwas das er getant hatte oder tat (zum Beispiel weil er schwul war) verurteilte, hatte nicht mehr die Möglichkeit die eigene kleine Gesellschaft zu verlassen und in einer anderen kleinen Gesellschaft Ruhe zu finden und aus seinem inneren Erleben und der äußeren Reaktion zu lernen und einen Schritt weiter zu gehen. Weder hatte der Einzelne gelernt in diesen veränderten Bedingungen zu leben, noch hatte die Gesellschaft die notwendige Tolaranz gelernt ohne die so große Organisationen wie es moderne Nationen sind, nicht funktionieren können.

Wenn das der Hintergrund war, vor dem sich individuelle Schicksale abspielten und wenn dann Großpapa im Ersten Weltkrieg an der Ostfront war und dorthin von einer größer gewordenen und sich dadurch auch stärker fühlenden Nation geschickt worden war, die an sich selbst und an die Tapferkeit ihrer Söhne glaubte; wenn dann die Realität an der Ostfront schrecklicher war, als es sich die Menschen bis dahin hatten ausmalen können, wenn die Gewalt der neuen Waffen so viel größer war, als die Kraft und Tapferkeit eines einzelnen Menschen; wenn Tapferkeit angesichts dieser Waffen eigentlich sinnlos wurde und das Selbstbild des starken, tapferen Mannes keinen Sinn mehr hatte und aus seiner Macht Ohnmacht wurde; wenn dann die Kapitulation folgerichtig war, aber die Nation, die auch die Gesellschaft war, diese Lehre nicht gezogen hatte, weil es bis dahin nichts dergleichen gegeben hatte; wenn dann die Frauen auf die heimkehrenden Männer herabsahen, weil die Familien die Heimat verlassen mußten, und die Väter auf die Söhne herabsahen, weil sie die Siege, die sie selbst errungen hatten nicht wiederholen konnten, sondern ohne Sieg heimkehrten obwohl die Nation doch so viel stärker als früher war – Wenn das alles so war, dann mußte die Kapitulation als von Fremden angezettelt angesehen werden, damit dann wieder ein Einklang mit den Frauen und Vätern erreicht wurde. Der neue Konsens bestand dann darin, dass die Kapitulation als Feigheit begriffen wurde. Derjenige, der weiter war als der Rest der Gesellschaft, weil er erleben hatte müssen, wie grausam die neue von ganz anderen Waffen und viel mächtigeren Strukturen geprägte Wirklichkeit war und wie wenig Tapferkeit angesichts dieser Kräfte bedeutete, mußte diese Erlebnisse leugnen, wenn er nicht in erneuten Konflikt mit denen, die er nicht hatte verteidigen können, geraten wollte. Es gab wohl nur wenige in “Deutschland, einig Vaterland” die damals die Kraft und gleichzeitig Weisheit hatten, diesen Konflikt auszuhalten.

Für den einzelnen vielleicht schwulen und mit sich selbst im Unreinen befindlichen jungen Mann, der nach den schrecklichen Erfahrungen an der Ostfront heimkehrte, war die Wucht mit der er auf sein Schicksal geworfen wurde, wohl zu groß, als das er hätte fähig sein können den richtigen nächsten Schritt zu tun. Die neue Gesellschaft kannte auch kein Entkommen mehr und dann unterwarf er sich eben den engen, rückwärts gewandten Ansichten der anderen, die nicht verstanden hatten, dass die alten Zusammenhänge zwischen Männlichkeit, Tapferkeit, Kraft, Ehrlichkeit und Macht keine Bedeutung mehr hatten. Damit, dass er sich ihre überkommenen Vorstellungen zu eigen machte, mußte er auch die Schuld an der Niederlage auf sich nehmen, und damit auch ihre Verachtung gegenüber ihm und seiner Angst vor der Grausamkeit der Ostfront. Er, der sich bis dahin doch eigentlich nichts hatte zuschulden kommen lassen, mußte alles oder wenigtens fast alles verraten und verleugnen, was ihn selbst ausmachte.

Ich denke, dass Großvater die Lektion schnell und voller Angst begriff, eine erneute Demütigung wollte er nicht erleben. Er akzeptierte die eigene Schuld ohne den berechtigten inneren Trotz je vollständig besiegen zu können. Die Nation wollte dann die Wiedergutmachung und im dritten Reich war er gehorsam und mit der Konsequenz desjenigen, der sich selbst vergessen möchte, in der Gemeinschaft der grausamen Täter. Einer Gemeinschaft in der es wohl viele gab, die zuvor in ähnlicher Weise Opfer geworden waren. Als auch das um war, und selbst die ganze Grausamkeit gegenüber seinem eigenen Sohn und der ganze verzweifelte Zwang nicht geholfen hatte gegen die erneute Niederlage der Nation der Väter; da war er längst viel zu weit gegangen, als dass er von einem Zurück hätte träumen können.

Er wurde dann als Mensch immer weniger in seiner dicken, leeren, traurigen, kalten Hülle, in der er sich die Welt einbildete und sich nach Berührung, Tapferkeit und Befreiung sehnteSeiner engen und kalten Hülle, die er sich vielleicht nicht selbst auferlegt hatte, die er aber längst selbst aufrecht erhielt und aus der er nur in krampfhaft herbeigeführten ekstatischen Ergüssen mit Unschuldigen kurzzeitig ausbrechen konnte. Nur das gab ihm die Macht die alten Begriffe und Zusammenhänge für einen bis zum Orgasmus gesteigerten Moment wieder zum Leben zu erwecken und – wenn auch nur sehr kurz – endlich aus ihnen auszubrechen.

Mißbrauch der Gefühle

Wenn ich bei Großpapa ankam, ging es immer erst so los, dass er mich gut fand und lobte. Aber dann fing er nach einem Tag oder so an, an allem was ich tat etwas auszusetzen und mich immer kleiner zu machen. Ich gab mir ungeheure Mühe, alles oder wenigstens irgendetwas richtig zu machen, aber es gelang mir einfach nicht. Ich konnte einfach nicht “stark” sein, immer war irgendetwas falsch. Aber wenn ich dann weg war und wieder kam, war er denke ich ehrlich davon überzeugt, dass er einen guten, kleinen Mann aus mir gemacht hatte. Er war angetan davon, dass ich wieder da war und verklärte mich wohl auch. Aber dann konnte ich nach kurzer Zeit seinen Ansprüchen wieder nicht gerecht werden und das war dann natürlich meine Schuld und dann ging das ganze Theater und meine große Hilflosigkeit und Traurigkeit wieder von vorne los. Ich war einfach nicht in der Lage, den Sinn in diesem Hin und Her zu verstehen und habe das als meine eigene Unfähigket anerkannt. Das war die einzige Chance, es vielleicht irgendwann doch noch verstehen zu können und eine Lösung zu finden.

Ich habe immer mehr das Gefühl, dass der Täter – jedenfalls in meinem Fall aber vielleicht auch häufiger oder gar immer – letztlich einen Partner sucht. Er benimmt sich dann gegenüber dem Kind so, als wäre er verliebt und möchte diesen Zustand unbedingt erhalten. Aber dieser Zustand lässt nach – schließlich ist und bleibt es ein Kind. Und außerdem liebt ihn das Kind ihn nicht in der Weise, wie er das gerne hätte. Der Trick (oder auch der einzige Ausweg für den Täter) ist, dann dem Kind daran die Schuld zu geben und es mit immer neuen Anforderungen und Wünschen so umzubauen, dass es vielleicht doch noch den eigenen Wünschen gerecht werden kann. Letztlich wie in einer alten, unglücklichen Beziehung, aber mit einem ganz anderem Machtgefüge. Der Täter baut sich ein großes Lügengebäude, das mit aller Macht aufrecht erhalten muß. Gegenüber dem Kind mit Zwang und gegenüber dem Rest der Welt mit Heimlichkeit und Aufgeblasenheit. Sonst müsste der Täter einsehen, wie feige und erbärmlich es ist, dass er völlig aufgegeben hat, sich die eigenen, wirklichen Wünsche selbst erfüllen zu können, die deshalb verleugnet werden.

Das Kind (und an meine eigenen Gefühle kann ich mich noch erinnern) versteht diese ganze Situation besser als der Täter. Es begreift durchaus, dass der “Große” etwas haben möchte, was er nicht kriegt und was er darum gerne von dem Kind erhalten möchte. Und ein Kind ist so, dass es viel Liebe und Vertrauen in sich trägt, jedenfalls zu den Mitgliedern seiner Familie. Es hat ja auch keine Wahl, da es objektiv nicht in der Lage ist, sich selbst “durchzubringen”. Das Kind spielt also mit, erträgt auch die Heimlichkeit und versucht eben, für den Alten das irgendwie so gut wie möglich schön zu machen. “Und wenn er einem Wehtuhen muß, muß das viellicht so sein und am Ende hat er einen ja doch lieb.” Aber das Kind merkt auch, dass es das immer nur halb hinbekommt und es weiß nicht, dass das auch nicht anders sein kann, weil es die “Dimension Sexualität” eben bislang nur in Ansätzen kennt.

Unterm Strich gab es für mich zwei Umstände, die mir geholfen haben, da durch zu kommen: Ich hatte das große “Glück”, dass mein Großvater weit weg wohnte, so dass ich mich seinem Zugriff immer wieder entziehen konnte – vor allem innerlich – und er konnte seine “Liebe” immer wieder (in den Phasen des Abstands) “auffrischen” und dadurch gab es immer wieder auch ermutigende Situationen. Außerdem hat die Angst meines Großvaters vor Entdeckung mir ein äußerlich weitgehend normales Leben ab Einschulung ermöglicht. Ohne beides, wäre es für mich und mein psychisches und physisches Überleben sicher noch enger geworden.

Es ist sicher richtig, dass mein Onkel Eberhard ähnliches erlebt hat: Wie hätte jemand wie mein Großvater mit einem “Knaben” anders umgehen sollen, der doch noch mehr in seiner Gewalt war als ich. Es muß für den kleinen Eberhard unendlich schrecklich gewesen sein und unmöglich, da irgendwie heil heraus zu kommen. Warum kann das sein? Wenn es schon schwer erträglich ist, dass es so etwas wie meine Kindheit geben kann – kann man noch sagen, dass ich überlebt habe und dass es vielleicht für irgendetwas gut war. Aber was ist mit den Kindern, die nicht überleben und die in dieser Hoffnungslosigkeit sterben müssen?

Jemand wie ich, der da irgendwie durchgekommen ist, hat aus dem Erleben Lehren gezogen: Die beim Mißbrauch notwendigerweise vorhandene Unzufriedenheit des Täters mit der ganzen Situation, traf auf ein Kind, dass er sich abhängig gemacht hat (wie auch immer) und das den hoffnungslosen Versuch unternommen hat, immer wieder neu, diesen (für es) unerfüllbaren Wünschen zu entsprechen. Ich denke, was damals sehr gründlich in mir kaputt gegangen ist, ist der Mut bedinungslos zu vertrauen und zu lieben. Das schließt die Liebe und das Vertrauen zu mir selbst ein, weil ich Bestandteil dieses Spiels geworden bin und meine nicht lebensnotwendigen Gefühle und Wünsche immer wieder aus Todesangst unterdrückt und verraten habe. 

Wenn das so ist, ist der sexuelle Mißbrauch auch ein Mißbrauch der Gefühle des Kindes, weil ehrliche und wirkliche Gefühle der Zuneigung, Liebe und Ergebenheit böse und kalt ausgenutzt werden, um einen Trieb zu befriedigen, der dem Kind weitgehend fremd ist. Wenn der sexuelle Mißbrauch nicht das Kind selbst tötet, tötet der mit ihm verbundene Mißbrauch der Gefühle eben diese – mehr oder weniger – ab. Denn diese Gefühle sind lebensbedrohlich, wenn das Kind sie gegenüber sich selbst zulässt und werden ausgenutzt und mit Verachtung beantwortet, wenn sie gegenüber dem Erwachsenen “ausgelebt” werden. Wenn das weit geht, bleibt dem innerlich Toten später vielleicht wirklich nur der Weg, den Rest Leben auch noch zu beenden. Weil die fehlende Selbstliebe eine Heilung unmöglich macht und weil die immer wieder neu erlebten Unterschiede zu anderen Menschen, es immer wieder an die eigenen “Fehler” als Kind erinnern. Oder es versucht diese Unterschiede in eine Stärke umzumünzen und wird selbst zum Täter.  

Auf meiner Seite

Irgenwie war das auch eine der Phantasien, die mir da durch geholfen hat: Dass mein Onkel Eberhard, den ich nie gesehen hatte und von dem ich nur ein einziges Bild kannte, auf meiner Seite wäre. Dass er das ganze sieht, was er selbst auch schon durchgemacht hat und mich ansieht und weiß, dass das alles gelogen ist. Dass sie das alles erfinden, weil sie ein Opfer brauchen, um sich selbst stark zu fühlen. Dass ich nicht so schwach bin, wie alle sagen und so überflüssig und eigentlich auch keine Last. Jedenfalls nicht, wenn man keine Last aus mir macht. Dass ich wenn ich endlich sterben würde, als erstes ihm begegnen würde, weil er auf mich gewartet hat und sagt: “Du brauchst nichts zu sagen und Du mußt Dich nicht mehr verteidigen oder beschützen. Ich weiß alles und alles ist vorbei. Hier ist es schön, komm mit.” Dann würde ich endlich weinen können, ohne dass sie das gleich verändern wollen. Weinen können, ohne dass meine Mama gleich kommt und sagt: “Es ist gut dass Du weinst und jetzt wollen wir daraus mal Stärke machen.” (Irgendwie waren sie alle so dressiert, dass Traurigkeit Schwäche ist und man dann besser wegläuft, bevor Großpapa einen dabei ertappt, dass der eine traurig ist und der andere nicht rein schlägt.)

Natürlich habe ich mich auch geschämt, weil ich mir solche Sachen vorgestellt habe, die ja gar nicht stimmen. Aber es war trotzdem schön, mir das vorzustellen und es war ein kleines bischen Zuflucht, weil eben sonst keiner auf meiner Seite war. Ich habe diese Phantasien aber ganz und gar als meinen Fehler gesehen und als Zeichen meiner Schwäche. Und dann dachte ich, dass vielleicht ja auch mein Onkel da oben steht und mich auslacht und amüsiert den Kopf schüttelt, so wie mein Vater, weil ich so schwach bin und noch nicht einmal alleine damit klar komme. Aber das konnte ich nicht glauben und wenn, dann war es mir auch fast egal, weil ich ihn dann nicht brauche konnte. Und dann habe ich eben an jemand anders geglaubt, denn irgenwie war es gut, sich nicht so alleine zu fühlen und irgenwie konnte ich das nicht anders aushalten – egal ob ich nun schwach war oder nicht.

Nur nachher, als ich sie mich aussortiert hatten und ich weg sollte von zu hause, hat mich leider auch Eberhard verlassen, weil damit auch er keine Erfahrung hatte. Da war ich dann ganz alleine mit meiner Traurigkeit und Panik.

Aber heute versuche ich, dieser Eberhard zu sein für das traurige Kind in mir, dass das alles noch immer nicht verstehen kann. Das sich immer noch so schwach und einsam fühlt in dieser großen Welt der Großen, die so kalt ist und so fremd. Ihm zu leuchten und das zu sagen, was er mir damals in meiner Phantasie gesagt hat: “Du brauchst nichts zu sagen und Du mußt Dich nicht mehr verteidigen oder beschützen. Ich weiß alles und alles ist vorbei. Hier ist es schön, komm mit.”

Mamas Traurigkeit

Mama war so traurig innen drin. Ihre eigene Mutter war gestorben als sie 14 war und sie erzählte uns, dass sie ihre eigene Mutter an die Nazis verraten hatte, weil die Mutter gegen den Krieg war und alles. Ihre Mutter war dann zum Verhör geholt worden und kam dann aber wieder nach hause und war wohl ziehmlich verstört aber verzieh meiner Mutter. Aber dann starb sie nach einiger Zeit und meine Mutter war der Meinung, dass sie sich nie von dem Verhör und dem Kummer erholt hatte, den meine Mutter ihr angetan hatte.

Ich glaube, dass mein Großvater ihr das eingeredet hat und ihr sagte, dass das ein Zeichen von Stärke wäre, wenn sie das aushalten und die Schuld auf sich nehmen würde und damit leben könne und das gut finden könnte. Ich glaube auch, dass mein Großvater selbst seine Frau los werden wollte, weil sie seine Naziphantasien nicht teilte und sie ihn erstens an seiner eigenen “Starkwerdung” hindern würde und weil sie zweitens ihre schützende Hand über seinen Sohn, Eberhard, hielt und er seine “Stärke-Erziehung” an seinem Sohn so extrem wie möglich durchziehen wollte.

Unsere Mutter erzählte uns auch, dass Ihr älterer Bruder, Eberhard, den Großvater zu einem Starken machen wollte mit der ganzen Brutalität und Grausamkeit die er dafür so gerne anwandte unter der schützenden Hand seiner Mutter gestanden hätte, die nach deren Tod ja wegfiel und Großpapa dann freie Hand hatte. Auch daran gab sich meine Mutter die Schuld. Und wohl auch nicht ganz zu unrecht, denn sie erzählte auch, dass Großpapa oft sehr brutal zu Eberhard gewesen wäre, dass er ihn zum Beispiel auch über nacht in einem Erdloch eingesperrt hätte. Sie erzählte aber auch, dass es dann auch wieder lustig gewesen wäre, mit anzusehen, wie sich Eberhard gewunden hätte, wenn Großvater ihn quälte.

Meine leibliche Großmutter starb jedenfalls an etwas, Thrombose wurde diagnostiziert und allgemein wurde von schlechter ärtzlicher Versorgung im Krieg gesprochen und auch Großpapa, der ja Tierarzt war, war an der ärztlichen Betreuung seiner Frau beteiligt. Was wirklich geschehen war, werde ich nie wissen aber ich zweifele an vielem was mir in diesem Zusammenhang erzählt wurde.

Meine Mutter erzählte jedenfalls auch, dass ihre Stiefmutter, meine Großmutter, in die Familie als Haushälterin kam als ihre Mutter noch lebte und dass diese sich immer als Verbündete der Kinder ausgegeben hatte, auch gegen deren eigene Mutter und Vater. Dass diese aber doch erst dem Großvater “diese Ideen” vorgestellt hatte und sich mit ihm verbündet hätte. Und als ihre Mutter das mitbekommen hätte, wäre es längst zu spät gewesen.

Als ihre Mutter starb gab es laut meiner Mutter auch noch ein kleines Baby und meine Mutter war traurig und die Feinde (die Russen im Krieg) kamen näher und keiner wußte, was nun aus dem Baby werden solle. Meine Mutter, die sich ja die Schuld an allem gab, nahm sich dann der Sache an und erstickte das Kinde mit einem Kissen.

Wenn uns unsere Mutter diese Dinge erzählte, wurde sie immer trauriger und am Ende ging dann ein Ruck durch sie und sie drückte sich durch und wollte zu ihrer Stärke zurück finden. Wenn wir sie danach in irgendeiner Form daran erinnerten wurde sie sehr wütend und sehr brutal.

Ich war immer so traurig und wütend auf meinen Vater, der meiner Mutter doch hätte helfen müssen aber sich lieber in seine eigene Schwäche zurück zog und eine starke Frau haben wollte. Und da haben sich die beiden in ihrer Verzweiflung wohl gefunden: Meine Mutter, die ihre Traurigkeit durch eingebildete Stärke bekämpfen wollte und mein Vater, der sich klein und schwach fühlen wollte, damit ihn jemand beschützt und der Angst davor hatte, seine Wut gegen jemanden zu richten, den er vielleicht noch als Schutz brauchte.

Kaffetrinken mit Goldrand

Eines Tages sagte mein Großvater zu meiner Mutter: “Der Dietrich ist ja schon ganz gut, aber dass er so zutraulich mit anderen Leuten umgeht ist noch nicht gut, aber ich habe da schon eine Idee, wie ich das machen kann.” Dabei lächelte er sein gütiges, überlegenes Lächeln.

Ich glaube, dass dieser Plan dann so aufging:

Es gab eine Familienfeier und meine Mutter sagte noch, dass es nichts machen würde, wenn wir mal bei einem Spiel den Ton angeben würden. Auf Nachfrage erklärte sie, wie das gemeint war. Als es dann soweit war, zogen sich die Erwachsenen irgenwann zurück. Es waren nur die leiblichen Kinder und die angeheirate Frau des toten Eberhard anwesend. Dann kamen sie irgendwann herunter und sagten: “So, nun spielt mal was” und wollten uns zusehen. Keiner tat was aber ich erinnerte mich, was die Mutter gesagt hatte und machte ein paar Vorschläge.

Das reichte dann schon und wir gingen hinein in die gute Stube. Dann drückte der Großvater erst dem Cousin auf die Schulter, aber der blieb gerade. Dann war ich dran. Als der Großvater mich dann auch herunter drückte, versuchte ich auch dagegen zu halten. Wenigstens so lange bis mir einer zur Hilfe kommen würde. Eine Tante rief dann: “Elisabeth, das darfst Du nicht zulassen.” Aber keiner sagte dann noch etwas und keiner kam mir zur Hilfe. Ich wollte aushalten und stark sein – aber dann rief meine Mutter etwas streng und ermahnend: “Dietrich!” und dann knickte ich ein. Und immer noch schritt keiner ein.

Ich schämte mich wahnsinnig und wollte niemanden ansehen. Tante Hildegard rief dann noch, dass das richtig wäre, weil meine Mutter ja irgendetwas mit dem Tod von Eberhard zu tun gehabt hätte und dass ich nun dem Cousin unterstellt würde, wäre daher nur gerecht. Ich war puterrot und wollte einfach nur weg sein. Der Cousin ist der Sohn von Eberhard, dem älteren Bruder meiner Mutter, der bei einem Verkehrsunfall (?) starb, bevor wir ihn kennenlernten. Der Cousin sollte mir dann etwas befehlen und ihm fiel nichts ein und er sagte etwas verlegen was und ich tat es. Ich ergab mich völlig und mir war alles egal und es sollte nur aufhören. Aber es hörte noch nicht auf.

Dann sollten wir zum Kaffeetisch schreiten und Großmutter sollte für mich das einfache Geschirr aus der Küche holen, denn das wäre meinem Stand gerechter. Das war nur für die anderen:

Ich aß dann ohne Appetit ein Stück Kuchen, das für mich ausgesucht wurde.

Als dann mein Vater dachten wohl alle, jetzt würde mir jemand helfen. Aber die ganze traurige Geschchte geht so, dass er als erstes fragte, ob ich schon wieder etwas angestellt hätte. Erst sagte keiner etwas und dann irgendjemand, dass das nicht so wäre. Dann setzte er sich dazu und aß seinen Kuchen und trank seinen leckeren Kaffee.

Es war schrecklich, schrecklich, schrecklich.

Dann fragte eine Tante, wohl um meinen Großvater zu besänftigen: “Erzähl uns doch noch einmal die Geschiche, was Du mit dem anderen gemacht hast.” Und dann erzählte er, dass es noch einen anderen gegeben hätte, im 3. Reich, der genauso hieß wie er. Dem hätte er gesagt, dass er sich nur die Haare wachsen lassen solle, dann würden sie kommen und ihn retten. Komische Geschichte und ich weiß bis heute nicht, was ich davon halten soll. Aber so war es.

Als ich meiner Mutter hinterher vorhielt, warum sie mir in den Rücken gefallen wäre, sagte sie: “Was wolltest Du denn tun? Willst Du denn wie Eberhard enden?” Darum denke ich, dass die Sippschaft das alles nicht zum ersten Mal erlebt hat.

Das Ende meiner Eltern

Meine Mutter wurde dann schizophren als ich 14 war. Mit inneren Stimmen, wahnsinnigen Anfällen, Verfolgungswahn. Das volle Programm. Einmal ging sie mit dem Küchenmesser auf mich los. Ein anderes Mal, als ich sie immer wieder ansprach und sie nicht reagierte, starrte sie mich plötzlich an und sagte: “Eberhard?!” (Ihr Bruder, mein Onkel, den ich nicht kennen lernte und von dem ich denke, dass er die gleiche Rolle für meinen Großvater spielte wie ich.)

Meine Mutter erhängte sich dann später selbst, lange nachdem ich zu hause ausgezogen war.

Mein Vater hatte dann einige Liebschaften und wurde dann über die Jahre immer panischer und wollte um sich daraus zu befreien unbedingt wieder jemanden heiraten. Er konnte nur noch schwer einschlafen und nahm daher Medikamente. Uns Kindern hat er nicht viel davon erzählt. Er war dann ein paar Tage bei seinem Bruder, meinen Onkel und meinte irgendwann, dass es ihm jetzt wieder besser gehe. Er fuhr dann wieder nach hause, ging abends noch auf einen geselligen Abend (Club) und erhängte sich dann später an der gleichen Stelle (im Schuppen) an der es auch meine Mutter getan hatte.