Mama war so traurig innen drin. Ihre eigene Mutter war gestorben als sie 14 war und sie erzählte uns, dass sie ihre eigene Mutter an die Nazis verraten hatte, weil die Mutter gegen den Krieg war und alles. Ihre Mutter war dann zum Verhör geholt worden und kam dann aber wieder nach hause und war wohl ziehmlich verstört aber verzieh meiner Mutter. Aber dann starb sie nach einiger Zeit und meine Mutter war der Meinung, dass sie sich nie von dem Verhör und dem Kummer erholt hatte, den meine Mutter ihr angetan hatte.
Ich glaube, dass mein Großvater ihr das eingeredet hat und ihr sagte, dass das ein Zeichen von Stärke wäre, wenn sie das aushalten und die Schuld auf sich nehmen würde und damit leben könne und das gut finden könnte. Ich glaube auch, dass mein Großvater selbst seine Frau los werden wollte, weil sie seine Naziphantasien nicht teilte und sie ihn erstens an seiner eigenen “Starkwerdung” hindern würde und weil sie zweitens ihre schützende Hand über seinen Sohn, Eberhard, hielt und er seine “Stärke-Erziehung” an seinem Sohn so extrem wie möglich durchziehen wollte.
Unsere Mutter erzählte uns auch, dass Ihr älterer Bruder, Eberhard, den Großvater zu einem Starken machen wollte mit der ganzen Brutalität und Grausamkeit die er dafür so gerne anwandte unter der schützenden Hand seiner Mutter gestanden hätte, die nach deren Tod ja wegfiel und Großpapa dann freie Hand hatte. Auch daran gab sich meine Mutter die Schuld. Und wohl auch nicht ganz zu unrecht, denn sie erzählte auch, dass Großpapa oft sehr brutal zu Eberhard gewesen wäre, dass er ihn zum Beispiel auch über nacht in einem Erdloch eingesperrt hätte. Sie erzählte aber auch, dass es dann auch wieder lustig gewesen wäre, mit anzusehen, wie sich Eberhard gewunden hätte, wenn Großvater ihn quälte.
Meine leibliche Großmutter starb jedenfalls an etwas, Thrombose wurde diagnostiziert und allgemein wurde von schlechter ärtzlicher Versorgung im Krieg gesprochen und auch Großpapa, der ja Tierarzt war, war an der ärztlichen Betreuung seiner Frau beteiligt. Was wirklich geschehen war, werde ich nie wissen aber ich zweifele an vielem was mir in diesem Zusammenhang erzählt wurde.
Meine Mutter erzählte jedenfalls auch, dass ihre Stiefmutter, meine Großmutter, in die Familie als Haushälterin kam als ihre Mutter noch lebte und dass diese sich immer als Verbündete der Kinder ausgegeben hatte, auch gegen deren eigene Mutter und Vater. Dass diese aber doch erst dem Großvater “diese Ideen” vorgestellt hatte und sich mit ihm verbündet hätte. Und als ihre Mutter das mitbekommen hätte, wäre es längst zu spät gewesen.
Als ihre Mutter starb gab es laut meiner Mutter auch noch ein kleines Baby und meine Mutter war traurig und die Feinde (die Russen im Krieg) kamen näher und keiner wußte, was nun aus dem Baby werden solle. Meine Mutter, die sich ja die Schuld an allem gab, nahm sich dann der Sache an und erstickte das Kinde mit einem Kissen.
Wenn uns unsere Mutter diese Dinge erzählte, wurde sie immer trauriger und am Ende ging dann ein Ruck durch sie und sie drückte sich durch und wollte zu ihrer Stärke zurück finden. Wenn wir sie danach in irgendeiner Form daran erinnerten wurde sie sehr wütend und sehr brutal.
Ich war immer so traurig und wütend auf meinen Vater, der meiner Mutter doch hätte helfen müssen aber sich lieber in seine eigene Schwäche zurück zog und eine starke Frau haben wollte. Und da haben sich die beiden in ihrer Verzweiflung wohl gefunden: Meine Mutter, die ihre Traurigkeit durch eingebildete Stärke bekämpfen wollte und mein Vater, der sich klein und schwach fühlen wollte, damit ihn jemand beschützt und der Angst davor hatte, seine Wut gegen jemanden zu richten, den er vielleicht noch als Schutz brauchte.