Du hast Großpapa sehr enttäuscht

Als Großvater dann einmal selbst “schwach geworden” war, hieß es danach immer: “Du hast Großpapa sehr enttäuscht”. Es wurde dann erst besser und dann schlimmer.

Die Maske

Während der ganzen Vorbereitungen zu meinem Verkauf, gab es eine entsetzliche Situation, bei der ich eine Atemmaske aufsetzen sollte. Die Maske hatte einer bestellt, der mich dann kaufen wollte, und meine Mutter hatte eingewilligt sie anfertigen zu lassen. Ich hatte keine Ahnung und sie war dann immer sehr nett zu mir und so ging ich immer brav mit. Bei der Abholung bei dem Verkäufer der Maske wollte sie sie aber auch ausprobieren. Dann sollte sie sie bei der Übergabe mitbringen.

Ich sollte mich dann auf einen Stuhl setzen und meine Mutter war ganz ungewöhnlich liebevoll und vorsichtig und ich ließ alles geschehen. Ich wurde festgeschnallt am ganzen Körper und dann fragte mich der Mann, ob ich eingepudert werden wolle, wenn man mir die Maske aufsetzen würde. Ich wollte tapfer sein und verneinte. Er meinte noch, dass das aber angenehmer wäre aber ich schüttelte den Kopf und er zuckte mit den Schultern.

Das Erlebnis mit dieser Maske war entsetzlich, es waren zwei Schläuche daran, die zu meiner Nase führten und über die ich Luft holen konnte – wenn man nicht seitlich, wo ich nicht hinsehen konnte, die Luftzufuhr abschitt, indem man die Schläuche zusammen drückte. Ich kann mich noch heute an das Gefühl erinnern, das in dem einen Moment als zum ersten Mal die Luft weg blieb in einem entsteht: Innerhalb eines Sekundenbruchteils wird einem alles klar. Alle Fasern des Körpers sind völlig angespannt das Gehirn fängt an zu hämmern und man wartet auf die Luft. Wenn diese kommt, versucht man gleichzeitig ein- und wieder auszuatmen so schnell wie möglich und verschluckt sich und muß husten und nichts geht mehr. Meine Mutter hat das nur zweimal gemacht und ich konnte nicht sprechen, da ich geknebelt war und ich hoffte inständig, dass meine Mutter das Entsetzen und die Angst in meinen Augen sehen könnte. Aber ich konnte meine Mutter nicht sehen.

Der Mann sagte dann relativ leise, sie solle aufhören, das wäre für mich ganz schrecklich. Sie hörte dann auf und ich fing an ganz schnell und hektisch zu atmen. Und der Mann fing an zu schimpfen mit meiner Mutter, dass das jetzt lebensgefährlich wäre und wenn ich hyperventiliere könnten sie mir die Maske nicht abnehmen. Dass er da nicht hätte einwilligen sollen und dass es die Schuld meiner Mutter wäre, wenn das jetzt alles auffliegen würde.

Meine Mutter wurde dann wieder ganz fürsorglich und redete ganz ruhig auf mich ein und beruhigte mich und dann fing ich langsam wieder an ruhig zu atmen. Dann haben Sie mir die Maske abgenommen und mich losgemacht und wir gingen hinaus. Draußen kaufte mir meine Mutter etwas zu Trinken, wieder ganz fürsorglich, irgend etwas Süßes was wir Kinder gerne mochten und was ich sonst nie von ihr bekam. Sie fragte dann interessiert und lächelnd aber nicht besorgt: “Haßt Du micht jetzt?” Ich wußte nicht was ich sagen sollte, da ich doch so sehr in ihrer Macht war.

Zu hause habe ich meinen Schwestern davon erzählt, weil ich einfach an nichts anderes mehr denken konnte. Als dann mein Vater nach hause kam, erzählte ihm meine Schwester wohl gleich davon und dann kam mein Vater zu mir gerannt und schrie, dass ich mir da wieder etwas ausgedacht hätte und schlug auf mich ein. Es war so, so schrecklich. Von da an wurde es zu hause immer schlimmer, mein Vater nutzte jede Gelegenheit mich auszuschimpfen und lächerlich zu machen vor anderen und meine Mutter verfolgte eisern ihren Plan. Ich wurde immer einsamer und verlorener. Ich durfe auch nicht allzu viel Kontakt zu anderen haben und wenn wurde genau darauf geachtet, dass ich niemandem etwas erzählen könnte. Dabei hätte ich mich wahrscheinlich sowieso nicht getraut und wenn doch hätte mir niemand geglaubt.

Ich wußte dann nicht mehr, ob ich mir nicht wünschen sollte, weg zu kommen und hatte die leise Hoffnung, dass es dann vielleicht sogar besser werden könnte.

Großvater wird schwach

Einmal, als ich wieder mehrere Tage dort war, meinte mein Großvater, er wolle mich untersuchen. Ich sollte dann meine Hose ausziehen und plötzlich fingerte er an sich selbst herum und wurde ganz hektisch und rief: “Ich helf Dir gegen Deine Mutter.” Er klammerte sich um meinen Hals und plötzlich wurde er ganz ruhig und sagte: “Ich dachte nicht, dass mir das noch einmal passieren würde.” Dann schickte er mich weg. Heute weiß ich, dass er wohl einen Orgasmus hatte.

Danach mußte ich weg. Es wurde dann jemand gerufen, der mich mitnehmen sollte. Ein Kinderquäler, dem ich schon einmal aber unter den Augen meines Großvaters überlassen worden war. Er wurde angerufen und kam mit einem Viehwagen, um mich darin mitzunehmen. Ich hatte entsetzliche Panik und wußte nicht was ich machen sollte. Ich merkte wohl, dass das was sonst immer geholfen hatte: Das Nachgeben und alle Schuld auf mich nehmen offensichtlich nicht mehr funktionierte. Ich wußte nicht ein noch aus und suchte nach Versteck- und Fluchtmöglichkeiten. Ich war innerlich eine einzige flirrende Angst.

Meine Großmutter rief dann irgendwann nachmittags meine Mutter an und die redete das dann wohl meinem Großvater aus. Jedenfalls ging er raus, als der Mann mit dem Viehwagen kam und schickte ihn wieder weg.

Von da an hat mich Großvater nicht mehr mißbraucht aber leider war es noch nicht aus. Mein Großvater sagte meinen Eltern, dass ich ihn sehr enttäuscht hätte – wahrscheinlich behauptete er, dass ich ihn verführt hätte, irgendeinen Blödsinn. Meine Eltern fragten mich in den Monaten danach immer mal wieder, was denn passiert wäre, aber wenn ich zu dem Punkt kam, an dem Großvater an sich selbst rumfingerte, wandten sie sich ab und wurden wütend, dass ich nicht die Wahrheit sagte.

Verkauft werden

Das weiße Haus war der Anfang und das Ende. Als ich in dem weißen Haus von meiner Mutter in mein Leben geschubst wurde lag bereits ein anderes, schrecklich trauriges Leben hinter mir. Wie bei den meisten Geburten war es ein Kampf zwischen dem Kind, mir, und der Mutter. Die Mutter zerrte mich und hatte dabei in der anderen Hand noch die Plastiktüte mit der Maske. Ich versuchte irgendwo Halt zu finden und griff nach einem Fenstersims. Doch Mutter bekam meine rechte Hand zu packen und zerrte mich weg. Ich schrie und schämte mich für das schreien und hoffte doch, dass jemand die Tür aufmachen würde und fragen würde oder mir einen Fluchtweg öffnen würde. Aber es ging keine Tür auf. Vielleicht war auch einfach niemand zu hause. Ich fragte ob ich nicht weglaufen dürfe und ich versprach niemals wieder zu kommen. Aber Mutter ließ sich nicht darauf ein und fragte mich, wo ich denn hin wolle. Ich hatte keine Antwort, da ich nicht wußte was es gab in dieser schrecklichen Welt. Die Mutter schimpfte und ich war verzweifelt und schließlich kamen wir oben an. Ich weigerte mich hinein zu gehen, doch dann spielte Mutter ihren letzten Trumpf: Sie drohte damit, dass sie Papa dazu bringen würde mich immer nur noch zu ärgern und niemals auf meiner Seite zu sein. Ich wußte das sie das könnte und alle Wut fiel in mir zusammen und nichts blieb davon übrig. Nur Traurigkeit. Dann gingen wir rein und die Frau sagte, dass der Mann nicht kommen würde. Er würde nicht kommen! Der Mann dem ich nun an diesem Tag übergeben werden sollte, war nicht erschienen und würde auch nicht mehr kommen! Meine Mutter wollte es nicht glauben aber die Frau rief ihn an und er sagte es meiner Mutter am Telefon, jedenfalls sagte meine Mutter nach dem Telefonat, dass nun eben ein anderer gefunden werden müsse. Dann sprach die Frau meine Mutter an. Sie sagte alles: Daß ein kleines Kind etwas wunderbares wäre, weil es die Mutter liebt. Dass sie selbst niemals ein Kind haben würde, das dort stehen würde und die Mutter immer noch liebt nach allem was die Mutter dem Kind antut. Dass der Liebhaber meiner Mutter, mit dem sie weggehen wollte, letztlich meine Mutter hätte zum Schweigen bringen müssen, wenn sie es denn bereut hätte und der Tag wäre gekommen. Denn der Liebhaber hätte sie nicht geliebt – der hätte niemanden geliebt und ob meine Mutter etwa glauben würde, dass er sie wegen ihrer wunderschönen Augen lieben würde. Meine Mutter ging traurig mit mir nach hause und mein Leben von heute begann.

Es ist immer noch alles zu viel. Zu viel Traurigkeit. Zu viel Schwermut. Zu viel zu viel zu viel.