Author Archives: dietrich.seggern

Das gibt es also immer noch

Als ich den Mißbrauch mit Großvater überstanden hatte, gab es viele Jahre lang Ruhe. Ich kam in die Schule und wir zogen um in eine andere Stadt. Außer dass ich merkte, dass ich irgendwie ganz anders war als die anderen und viel, viel ernster, trauriger und ängstlicher und dass es dadurch oft schwierig war, mit den anderen klar zu kommen, geschah nicht viel. Sogar mein Vater war manchmal für mich da und das war eigentlich das Schönste – auch wenn ich wußte, dass meine Mutter ihn dazu aufgefordert hatte. Meine Mutter mochte ich tief in mir drinnen nicht, aber ich schämte mich dafür und meine Mutter versuchte jetzt wirklich ganz besonders für mich zu sorgen.

Dann sollte ich einmal auf den Bauernhof fahren und dort einige Nächte bleiben, auf dem mein Vater groß geworden war. Er meinte noch zu mir, dass es sein könne, dass mein Opa etwas von mir wolle und dann solle ich ihm helfen. Mein Opa wollte dann tatsächlich etwas von mir, sagte dann zu mir ich solle mitkommen, tötte vor meinen Augen ein Huhn und ließ mich dann in seinem “Vorzimmer” warten. Die anderen Großen waren an dem Tag nicht zu hause. Dann rief er mich rein. Er sagte, dass mein Vater ja wohl bauen wolle und dafür ein Grundstück von ihm bräuchte und das würde er ihm wohl auch geben wollen, wenn ich ihm auch helfen würde. Dann zog er mir irgendein Kleidungsstück über, das er wohl toll fand und sagte ich wolle doch bestimmt Pilot werden und ich  sollte mir jetzt vorstellen, wie ich vorne im Flugzeug wäre. Dann steckte er mir “etwas” von hinten in den Popo, es tat weh und irgendwie war es eklig und unangenehm. Das Gefühl, etwas gutes zu tun, wollte sich einfach nicht einstellen. Dann schickte er mich ziehmlich herablassend und geringschätzend weg.

Ich lief in den Wald, wollte einsam sein und alleine und hatte das Gefühl, dass ich einfach nicht für diese Welt geschaffen wäre. Es war nur ein dunkles Gefühl da, dass ich das alles schon einmal erlebt hatte und eine schreckliche Angst, dass irgendetwas heraus kommen könnte, irgendeine Schuld, die schwer auf mir lastete. Es war ein ganz und gar unglückliches und sehr dumpfes Gefühl und der Wunsch nie wieder irgendjemanden sehen zu wollen. Aber irgendwann ging ich dann doch zurück und wartete, was passieren würde und ob ich wieder etwas falsch gemacht hätte. Ich nahm mir vor, auf keinen Fall zu weinen oder Schwäche zu zeigen, weil ich das Gefühl hatte, dass sie das dann sofort ausnutzen würden.

Am Abend sagte mein Onkel zu mir, dass ich ja wohl bei Opa gewesen wäre und fragte, ob mein Vater mir nichts gesagt hätte. Ich sagte, dass mein Vater gesagt hätte, dass ich meinem Opa helfen solle und mein Onkel sagte, dass ich mich da verhört haben müsse. Ich sagte nur “Nein” und versuchte nicht zu weinen und war froh als mein Onkel nichts mehr dazu sagte.

Als meine Eltern mich abholten, sagte ich, dass ich bei Opa gewesen wäre und meine Mutter sah mich entsetzt an. Sie sagte zu meinem Vater, dass sie gedacht hätte, dass mein Opa zu alt wäre dafür und mein Vater sagte: “Der hört nie auf damit”. Da sagte sie zu ihm: “Hast Du das etwa gewußt? Ich habe Dir doch erzählt was ich mit dem Jungen gemacht habe.” Mein Vater: “Soll denn immer der Sohn meines Bruders alles abkriegen?” Meine Mutter stieg dann mit mir aus dem Auto aus und sagte zu mir, dass ich nicht wieder einsteigen müsse und sie würde bei mir bleiben. Wir gingen zu Fuß weiter und mein Vater fuhr mit dem Auto neben uns her. Ich bin dann wieder eingestiegen. War ja sowieso alles Quatsch, was meine Mutter da sagte.

Mein Vater wollte es dann später zu hause noch etwas ausführlicher hören und als ich ihm von dem Kleidungsstück erzählte, sah er in sich hinein und sagte: “Das gibt es also immer noch.”

Das Ende meiner Eltern

Meine Mutter wurde dann schizophren als ich 14 war. Mit inneren Stimmen, wahnsinnigen Anfällen, Verfolgungswahn. Das volle Programm. Einmal ging sie mit dem Küchenmesser auf mich los. Ein anderes Mal, als ich sie immer wieder ansprach und sie nicht reagierte, starrte sie mich plötzlich an und sagte: “Eberhard?!” (Ihr Bruder, mein Onkel, den ich nicht kennen lernte und von dem ich denke, dass er die gleiche Rolle für meinen Großvater spielte wie ich.)

Meine Mutter erhängte sich dann später selbst, lange nachdem ich zu hause ausgezogen war.

Mein Vater hatte dann einige Liebschaften und wurde dann über die Jahre immer panischer und wollte um sich daraus zu befreien unbedingt wieder jemanden heiraten. Er konnte nur noch schwer einschlafen und nahm daher Medikamente. Uns Kindern hat er nicht viel davon erzählt. Er war dann ein paar Tage bei seinem Bruder, meinen Onkel und meinte irgendwann, dass es ihm jetzt wieder besser gehe. Er fuhr dann wieder nach hause, ging abends noch auf einen geselligen Abend (Club) und erhängte sich dann später an der gleichen Stelle (im Schuppen) an der es auch meine Mutter getan hatte.

Ist Vergessenes auch wirklich weg?

Ich bekam dann irgendwann immer mal wieder Migräne (ab ca. 16 Jahre) und habe es in keiner Beziehung lange ausgehalten – oder vielleicht besser: Niemand hielt es mit mir länger als ca. 4 Jahre aus.

Als ich dann doch noch einen Sohn bekam, war ich wohl wieder mit meiner eigenen Kindheit konfrontiert. Als er drei Jahre alt war, kamen immer mehr Erinnerungen zurück, zunächst an die ersten Jahre in der Schule und ich stellte fest, dass während dieser Erinnerungen häufig sich ankündigende Migräneanfälle wieder verschwanden.

In einem Migräneanfall, kam dann als erstes die Erinnerung an die gescheiterte Übergabe zurück, zu der mich meinen Mutter geschleppt hatte. Zuerst tauchte das weiße Haus wieder auf, in dem das stattfand und dann so langsam der Rest. Das ist jetzt ungeführ sieben Jahre her.

Vor 1,5 Jahren bekam ich dann eine sogenannte Angststörung und hatte Panik nie wieder schlafen zu können. Ich dachte, ich müsste das gleiche Schicksal wie mein Vater erleiden. Seitdem bin ich noch mehr auf dem Weg nach innen, weil ich erfahren habe, dass es Gefühle in mir gibt, die mich umbringen können und dass ich an diesen Gefühlen wachsen muß, um sie aushalten zu können, wenn sie denn wieder kommen.

Ich denke, dass ich mich den Rest meines Lebens mit meinem inneren Kind beschäftigen werde, das das alles noch immer nicht verstehen kann.

Dieser Blog soll diesem Kind ein wenig Genugtuung verschaffen, dass es sich nicht mehr so alleine fühlt. Dass es das Gefühl hat, dass ich mich seiner nicht schäme. Ich kann nicht so häufig mit anderen darüber reden, weil das eigentlich immer alle überfordert. Daher habe ich diesen Weg gewählt es in die Welt zu stellen. Natürlich habe ich auch sonst gute Hilfe gefunden und es gibt viele Menschen und auch die Gesellschaft, die mich in meiner Angstdepression nicht hat fallen lasssen, der ich von Herzen dafür dankbar bin.

Warum spielst Du immer das Opfer?

Die können das mit einem machen: So viel Angst vor denen, dass man alles tun würde – wirklich alles, um sie nicht zu reizen. Man unterwirft sich völlig und möchte nur noch die schreckliche Angst lindern. Man versucht dem Mächtigen alles recht zu machen und hat ständig diese Angst im Blick, im Gesicht und im ganzen Körper. Man beginnt sich selbst dafür zu verachten und der Mächtige weist einen auch manchmal darauf hin, dass man das ja alles aus mehr oder weniger freien Stücken macht. Und man ist doch nicht etwa so dumm, das nicht zu wollen, nicht wahr?

Man versucht die Wut und das System des Mächtigen immer besser zu verstehen, aus Angst das eigene Leben auf diese Art zu verlieren und einen so entsetzlich einsamen und verlorenen Tod zu sterben. Man gibt sich auf, verachtet sich, beginnt den Mächtigen zu bewundern und wünscht sich eigentlich nur, dass ein anderer Mächtiger kommen könnte und den Peiniger besiegen würde. Dem würde man sich dann noch mehr und aus noch vollerem Herzen unterwerfen.

Es ist nicht mehr das eigene Leben an das man sich klammert – das ist einem längst nichts mehr wert, weil man weiß, dass man selbst Teil des Systems geworden ist. Es ist die Angst vor dem gewaltsamen Tod, erlitten unter den größten eigenen Anstrengungen das eigene Selbst aufzugeben und dadurch völlig von sich selbst getrennt zu sein. Ein Tod voller Selbstverachtung und -hass, Traurigkeit, tiefer Unsicherheit, Schutzlosigkeit, Einsamkeit, unterdrückter Wut und ohne jemals die Chance gehabt zu haben, für etwas gut gewesen zu sein. Diese Angst vor einem verlorenen Tod, der ein dann wirklich überflüssiges Leben beenden würde, ist größer als der Wunsch nach Selbstachtung – und damit schließt sich der Kreis und die Selbstaufgabe wird noch größer.

Man verliert den Glauben ganz und gar. Den Glauben an sich selbst, der, wie ich jetzt denke, der wahre Glaube auch der Religionen ist, weil es der Glaube an das Gute und Richtige ist, das vielleicht doch in jedem von uns immer da ist. Oft ist es heute dieser Glaube, wenn ich mich auf das eigene Herz ausrichte und versuche darauf zu vertrauen, dass es das Gute und Richtige in diesem Herzen gibt, der mich durch die Angst und die vielen Unsicherheiten trägt.

Warum schreibe ich das? Weil es für jemanden, der das nicht kennt, schwer zu verstehen ist, warum das Opfer da plötzlich so mitspielt und sich nicht einfach retten lässt. Und die einfachen Schlüsse, die die daraus ziehen, die von ihrer eigenen Stärke überzeugt sind aber ihre eigene Schwäche nicht kennen, sind für mich nur schwer zu ertragen.

Aber der Punkt ist: Wenn jemand das Opfer wirklich retten will und kann, dann wird er das machen und nicht darüber nachdenken, was der Anteil des Opfers ist. Es gibt diesen Anteil, das ist nicht die Frage. Aber es ist dennoch unbeschreibliches Unrecht und das ist offensichtlich. Wenn jemand den Mut hat und die Stärke zu helfen, dann soll er helfen. Das Opfer hat den Glauben an sich selbst verloren, weil es völlig unterworfen wurde. Und das Opfer weiß das und fühlt so: Wenn jemand noch die Frage stellt, ob das Opfer nicht selbst da mitspielen will, wird seine Kraft auch nicht reichen, sich gegen den Täter zu behaupten. Denn der Täter wird um sein Opfer kämpfen und Auflehnung macht nur dann Sinn, wenn am Ende ein Sieg steht. Eine erneute Niederlage würde erneute noch stärkere Unterwerfung nach sich ziehen und die Trennung von sich selbst müsste noch größer werden.

Die große Frage ist: Warum kann das so ungerecht sein? Wo ist die Erklärung? Wo ist die Schuld des Opfers, die ja die Möglichkeit einer Rettung in sich tragen würde? Warum kann ein unschuldiges Opfer einen solchen Tod sterben müssen, ohne dass irgendetwas passiert?

Verkauft werden

Das weiße Haus war der Anfang und das Ende. Als ich in dem weißen Haus von meiner Mutter in mein Leben geschubst wurde lag bereits ein anderes, schrecklich trauriges Leben hinter mir. Wie bei den meisten Geburten war es ein Kampf zwischen dem Kind, mir, und der Mutter. Die Mutter zerrte mich und hatte dabei in der anderen Hand noch die Plastiktüte mit der Maske. Ich versuchte irgendwo Halt zu finden und griff nach einem Fenstersims. Doch Mutter bekam meine rechte Hand zu packen und zerrte mich weg. Ich schrie und schämte mich für das schreien und hoffte doch, dass jemand die Tür aufmachen würde und fragen würde oder mir einen Fluchtweg öffnen würde. Aber es ging keine Tür auf. Vielleicht war auch einfach niemand zu hause. Ich fragte ob ich nicht weglaufen dürfe und ich versprach niemals wieder zu kommen. Aber Mutter ließ sich nicht darauf ein und fragte mich, wo ich denn hin wolle. Ich hatte keine Antwort, da ich nicht wußte was es gab in dieser schrecklichen Welt. Die Mutter schimpfte und ich war verzweifelt und schließlich kamen wir oben an. Ich weigerte mich hinein zu gehen, doch dann spielte Mutter ihren letzten Trumpf: Sie drohte damit, dass sie Papa dazu bringen würde mich immer nur noch zu ärgern und niemals auf meiner Seite zu sein. Ich wußte das sie das könnte und alle Wut fiel in mir zusammen und nichts blieb davon übrig. Nur Traurigkeit. Dann gingen wir rein und die Frau sagte, dass der Mann nicht kommen würde. Er würde nicht kommen! Der Mann dem ich nun an diesem Tag übergeben werden sollte, war nicht erschienen und würde auch nicht mehr kommen! Meine Mutter wollte es nicht glauben aber die Frau rief ihn an und er sagte es meiner Mutter am Telefon, jedenfalls sagte meine Mutter nach dem Telefonat, dass nun eben ein anderer gefunden werden müsse. Dann sprach die Frau meine Mutter an. Sie sagte alles: Daß ein kleines Kind etwas wunderbares wäre, weil es die Mutter liebt. Dass sie selbst niemals ein Kind haben würde, das dort stehen würde und die Mutter immer noch liebt nach allem was die Mutter dem Kind antut. Dass der Liebhaber meiner Mutter, mit dem sie weggehen wollte, letztlich meine Mutter hätte zum Schweigen bringen müssen, wenn sie es denn bereut hätte und der Tag wäre gekommen. Denn der Liebhaber hätte sie nicht geliebt – der hätte niemanden geliebt und ob meine Mutter etwa glauben würde, dass er sie wegen ihrer wunderschönen Augen lieben würde. Meine Mutter ging traurig mit mir nach hause und mein Leben von heute begann.

Es ist immer noch alles zu viel. Zu viel Traurigkeit. Zu viel Schwermut. Zu viel zu viel zu viel.