Dressur

Als ich von Großpapa dressiert wurde, war er erst ausgesprochen freundlich und für einen Erwachsenen, sehr “auf meiner kindlichen Seite” und hatte Verständnis für alles. Er fragte mich, ob  meine Mutter denn immer freundlich zu uns wäre und wollte hören, dass sie das nicht war. Er meinte, ich könnte ihm das ruhig sagen und er war sehr verständnisvoll als ich ein bischen was erzähte. Aber ich erzählte nicht alles, ich wollte erst einmal abwarten, was er damit machen würde. Ich war mißtrauisch, weil ich wußte, wie sehr Mama ihn verehrte und mir das Ganze komisch vorkam. Es war aber trotzdem schön, jemanden zu haben, der einem glaubt und der auf meiner Seite war.

Dann wurde mir das Geschirr umgelegt und die Augen verbunden. Dann wurde ich angeschrieen und hin- und hergeschleudert. Die Angst schlug bald in Wut um und dann in Resignation. Ich machte, was er wollte aber innerlich abwesend und ohne Mühe. Ich dachte, der ist sowieso stärker und wenn es im Spaß macht, mache ich halt mit. Dann wurde es noch schlimmer und noch brutaler und aus der Angst wurde Todesangst und ich strengte mich doch an, dass er meine Unlust nicht merkt. Aber innerlich blieb die Wut und der Hass, nur gut versteckt und ich schwor mir, dass ich nie wieder zu ihm gehen würde. Schließlich mußte ich ihn noch in den Mund nehmen, es blieb die Angst vor ihm und ihm weh zu tun und seinen Zorn auf mich zu ziehen. Aber es blieb auch die Enttäuschung und die Wut und der Gedanke, dass es trotz allem bei Mama besser wäre als bei ihm.

Schrecklich war, dass meine Mutter mich dann zwang doch wieder zu ihm zu gehen und dann – wirklich unverständlicherweise – mein Vater auch dafür war. Dabei weigerten sich beide immer, mir zuzuhören, wenn ich erzählen wollte, was dort passiert war. Mein Vater meinte, er würde ja noch nachgeben, wenn ich mich nicht so bockig anstellen würde und dann versuchte ich es wieder mit ein wenig nachgeben aber das half auch nicht. Meine Mutter wollte, dass mein Großpapa einen starken Mann aus mir macht, aber darin lag soviel Verachtung für meinen Vater und ich konnte nicht verstehen, dass der da dennoch mit machte.

Dann hatte ich keine, auch keine innerliche Barriere mehr. Ich mußte alles machen, was er wollte und konnte mir nicht mehr sagen, dass er ja sowieso stärker wäre. Ich mußte dagegen halten, obwohl ich genau wußte, dass es genau das war, was er wollte, damit er mir zeigen könnte, dass er stärker wäre und damit ich mich dann wieder und wieder unterwerfen muß. Ich mußte mich ihm immer wieder unterwerfen, obwohl ich das Gefühl hatte, dass er es war, der mich aus meiner eigenen Familie heraus gedrängt hatte und mir meine Mutter und meinen Vater genommen hatte.

Das Schlimme ist, dass man sich aufgeben muß und sich verraten muß. Und es ist bis heute schrecklich, das einzusehen. Dass es bis heute immer wieder notwendig ist, das bischen Selbstbewußtsein was er einem gelassen hat auch noch aufzugeben und auch noch den eigenen Anteil an der ganzen Sache einzusehen, damit man die Panik und die Angst vielleicht irgendwann nicht mehr haben muß.

Warum kann das sein: Das alle gegen ein kleines Kind sind: Die Eltern, der Großvater und dann am Schluß sogar noch die Geschwister. Dass alle meinen es wäre die Schuld des kleinen Kindes, weil es zu schwach geboren wurde oder weil es irgendetwas gemacht hatte, von dem ihm keiner sagen konnte, was das wäre.