Das Kind steht da noch heute in mir mit verbundenen Augen und ist mit einer Leine versehen und mit den Händen am Körper gebunden und mit den Füßen gebunden, so daß nur kleine Schritte möglich sind. Es hat zuerst Zutrauen zum Großpapa, den es ja kennt. Doch dann beginnt der Großpapa zu schreien und zu schimpfen und das Kind zieht den Kopf ein. Es kriegt weiche Knie und fängt sich verzweifelt an zu fragen, was es falsch gemacht hat. Das Kind will schreien, aber dann wird es erst recht bestraft und beschimpft. Es fragt sich immer weiter was es falsch gemcht hätte und was der Fehler ist während es Schweißausbrüche bekommt und die Angst am Rücken hochwallt. In den Ohren fängt es an zu flirren und es ist darin laut auch wenn der Großpapa mal nicht schreit. Das Kind zieht die Schultern immer weiter hoch, um sich zu verbergen. Mehr ist nicht möglich als kleines Kind, mit einer Leine gefesselt. Aber es wird dennoch hin und hergehetzt und geschleudert und kann nicht so schnell folgen. Die Angst ist übermenschlich groß und das Kind versucht immer kleiner zu werden. Aber es wird immer weiter beschimpft und es versucht etwas richtig zu machen aber es ist alles falsch. Das Kind fragt sich immer verzweifelter, was falsch ist und beginnt mit dem bischen, was ihm in der Hetze bleibt, immer verzweifelter an sich zu nagen und sich selbst und den Großvater und die ganze Situation zu hassen, weil ihm einfach nicht einfällt, wie es etwas richtig machten könnte. Es fühlt sich immer schuldiger und falscher. Es soll alles bloß aufhören und nie wieder passieren, aber es gibt bereits eine Ahnung, dass das nicht so sein wird.
Die Tortur dauert unendlich lange. Das kleine Kind verliert darin immer wieder sein Leben. Bis es endlich lieb sein darf und dem Großpapa seine Wünsche erfüllen darf.
Unten steht die Mama und nimmt das Kind in Empfang. Sie sagt, dass es schrecklich gewesen wäre, die Schreie zu hören. Aber Großpapa lächelt und sagt ihr, dass sie es ja auch so gewollt habe und da das Kind nun mal nicht so oft berim Großpapa ist, muß er schon auf einen Schlag etwas mehr machen. Dann lächelt er das Kind an und sagt: “Dietrich, Du findest das doch richtig und verstehst das, oder?” Und das Kind beeilt sich zuzustimmen aber es schwört sich, dass es nie wieder dorthin gehen wird.
Das schrecklichste an dieser Geschichte ist, dass es tatsächlich noch nächste Male gab. Als ich hörte, dass ich wieder zu Großpapa soll, habe ich mich bis zu dem dafür geplanten Tag mit Schimpfen, Schreien, Lieb sein dagegen gewehrt. Aber meine Eltern blieben hart. Ich konnte das nicht verstehen, aber es half alles nichts. An dem Tag wurde es immer schlimmer aber irgendwann sagten meine Eltern dann zu mir, dass ich mitkommen solle aber ich müsste dort nicht übernachten. Da ich nicht alleine zu hause bleiben konnte (4 Jahre?) willigte ich ein. Im Auto wurde mir dann eröffnet, dass die Planung nun einmal so wäre, dass ich dort bleibe und übernachte und damit Schluß. Ich war grenzenlos enttäuscht und wütend – ich weinte und schrie und versuchte und versuchte alles, aber es half alles, alles nichts. Ich mußte würgen bei dem Gedanken an den triumphierenden Großpapa. Auch meine Schwestern waren erst auf meiner Seite, aber ich erinnere mich noch, dass ich irgendwann merkte, dass sie ruhiger wurden und nichts mehr zu meiner Verteidigung sagten. Da merkte ich, dass ich alle einfach nur störte und verstummte und legte mich innerlich auf meine riesengroße Traurigkeit und alles nahm seinen Lauf. Immer und immer wieder.
Später hat mir meine Mutter einmal gesagt – ich weiß nicht warum, daß sie mich gebrochen hätten. Ich denke, dass mein Großvater mich unterworfen hat aber dass meine Eltern mich damals tatsächlich gebrochen haben.